Tante Emma Laden-Betreiberin ist ein Medienstar

Trudering · Am Ende der Stadt

Traudl Maier betreibt einen der letzten Tante Emma Läden Bayerns.  Foto: Föll

Traudl Maier betreibt einen der letzten Tante Emma Läden Bayerns. Foto: Föll

Trudering · Traudl Maier ist ein Medienstar. Letztes Jahr drehte ein kanadisches Team einen Film über sie, seitdem rennen ihr Reporter die Tür ein. Denn Traudl Maier hat etwas, was am Aussterben ist: Einen Tante Emma Laden.

Die Lage am Truchthari Anger in Trudering passt zu der endlichen Existenz: Vor der Tür brach liegende Wiese, dahinter der Friedhof. Hier ist in den letzten 60 Jahren nichts mehr gebaut worden. Nein, heute Nachmittag hat sie keine Zeit für ein Interview. Sie hat Besuch von einer Freundin, der Kaffee ist schon hergerichtet. Auf ihren Stock gestützt erhebt sie sich mühsam von der Bank im Hof, wo sie mit ihrer Freundin in der Sonne ratscht. Im Stehen ist die 69-Jährige kaum größer als im Sitzen. Ein angeborener Hüftschaden ließ sie nur 140 Zentimeter groß werden. Während sie in ihrem geblümten Kleid zum Hoftor schlurft, redet sie ununterbrochen. Morgen habe sie auch keine Zeit, weil sie da zu den Schützen müsse. »Aber kommen’s doch rein, ich geb eana den Film, die warn vier Wochen da, zwei junge Frauen, die ham gsagt, sie wärn von der Filmhochschule und müssten wia a Handwerker so an Meisterfilm machen…«, erzählt sie, während wir zum Hintereingang des Hauses gehen. Quer über den Stufen liegt eine Holzplanke, damit Heidi auch ins Haus kommt. Heidi ist Traudl Maiers hoch betagte, etwas zu füllige Dackelin. »Der Arzt sagt, sie muss Diät machen, aber sie frisst mir schon das Vogelfutter zamm, das bring ich net übers Herz«, sagt Frauchen.

Im Haus herrscht eine angenehme Temperatur im Vergleich zu den 30°C draußen, dafür sorgt die Kühlung. Der Motor, der gleich im ersten Raum steht, stammt noch aus dem Jahr 1950. Er ist so alt wie Traudl Maiers Geschäft, das ihre Mutter Frida gegründet hat. Als diese das erste Mal die Tür für Kunden aufschließt, ist Traudl zehn Jahre alt. Und sie muss von Anfang an mithelfen.

An der rechten Wand türmen sich Holzscheite bis zur Decke. »Da muss ich nicht so weit laufen im Winter«, sagt sie fast entschuldigend. Der zweite Raum ist gekachelt, die weißen Regale sind leer, auf einer Art Theke mit einer metallenen Klappe steht ein Korb mit Brot. »Hier hatte meine Mutter den Milchladen«, erklärt sie. Der sei Schuld gewesen, dass das Geschäft erst am 2. Januar 1950 eröffnet werden konnte und nicht schon im Oktober 1949, gleich nach der Gewerbeanmeldung. Ein Freund der Familie habe ihrer Mutter geraten, zu den Lebensmitteln noch Milchprodukte dazuzunehmen, weil bald auf der Wiese Baracken der Amerikaner gebaut würden und außerdem viele Flüchtlinge kämen.

»Meine Mutter musste dann erst mal viele Prüfungen machen, bevor sie den Milchladen eröffnen durfte«, erzählt Traudl Maier, während sie den Brotkorb beiseite schiebt und den Metalldeckel hochhebt. »Hier war die frische Milch drin. In der Nacht kam das Milchauto und hat sie geliefert. Die Leute sind mit ihren Milchkannen gekommen und meine Mutter hat die Milch mit einer Schöpfkelle reingefüllt.« Sie öffnet eine Tür im Schrank darunter und deutet auf eine Aluminium-Wanne: »Und hier war die frische Butter drin. Das Buttermesser hab ich immer noch.« Doch schon bald kam die Katastrophe: Die Baracken der Amerikaner wurden abgerissen, die Flüchtlinge eröffneten in ihrer Siedlung einen eigenen Milchladen. »Meine Eltern waren bankrott«, erzählt die Truderingerin und winkt abwehrend mit der Hand, als wolle sie die Erinnerung an die schwere Zeit damals wegschieben, und geht in den nächsten Raum – ihr Laden. Auf den dunklen Holzregalen an den Wänden stehen ordentlich in Reih und Glied Ketchup-Flaschen, Nudeltüten, Dosen-Erbsen, Scheuerpulver, Papiertaschentücher, Saft- und Weinflaschen, auf dem untersten Boden Zahnpasta, Rasierpinsel und Kernseife. An einem Nagel neben der Eingangstür hängen Kehrbesen, vor der Verkaufstheke mit der nostalgischen Waage – ebenfalls aus dem Jahr 1950 – stehen Kisten mit Gemüse, frisch vom Bauernhof. In einem hohen Kühlregal Milch, Quark, Eier, Wurst und Käse. »Ich hab alles, was ein Haushalt braucht«, sagt sie stolz. »Und nur gute Qualität.«

»Ich kenn’ jeden«

Die Tür geht mit einem schrillen Klingelton auf und der benachbarte Autohändler bestellt eine Wurstsemmel und einen Kaffee zum Mitnehmen. Traudl Maier wirft die Kaffeemaschine an und stellt ein geblümtes Haferl darunter. »Die bringst mir wieder, gell, Mama spült sie dann«, sagt sie lachend. Sie kennt alle, die bei ihr einkaufen. »Omoi is a Madl kemma, die war höchstens elf, und wollt a Bier für ihran Opa ham, aber i wusst, do gibt’s überhaupt koan Opa!« Das Bier blieb im Laden. Sie zieht eine Schublade heraus und reicht mir ein blaugemustertes, kleines Fotoalbum, das ihr das kanadische Filmteam zum Abschied geschenkt hat, und eine DVD in einer durchsichtigen, blauen Hülle, und wir verabschieden uns.

Zwei Tage später betrete ich den Laden durch die Eingangstür, die Klingel kreischt, Traudl Walter kommt aus einem Nebenzimmer geschlurft und schluckt noch schnell den letzten Bissen ihres Mittagessens herunter. »Das ist der Vorteil, wenn man den Laden im Haus hat«, sagt sie. Sie hätte das als Kind sehr genossen, dass ihre Mutter immer da war. Auf einem kleinen Regalbrett steht ihr Bild, eingerahmt von Blumen. Vor acht Jahren starb sie. Als der Vater starb, war Mutter Frida gerade einmal 56. »Jetzt pack ich’s o«, sagte sie damals. Und Tochter Traudl tat es ihr gleich, als auch ihr Mann vor 16 Jahren starb.

Es geht immer weiter

Ob sie jemals ans Aufhören gedacht hat, frage ich sie. »Nein«, sagt sie entschieden. Erstens könne sie nicht, weil ihre kleine Erwerbsunfähigkeits-Rente nicht ausreiche, um das große Haus zu unterhalten, und zweitens »... wos tua i dann den ganzen Dog? Mir is es zu blöd, den ganzen Nachmittag Fernsehen zu schauen.« Außerdem liebe sie ihre Kunden, vor allem die Kinder, und die liebten sie. »Mir schreiben immer alle aus dem Urlaub«, sagt sie. Die Karten hebt sie auf.

Wir ratschen noch eine ganze Weile, zum Abschied schenkt sie mir eine Tafel Schokolade. Als ich die Tür hinter mir zuziehe, fällt mein Blick auf ein gemaltes Kinderbild, das von innen an die Scheibe des Schaufensters geklebt ist. »Beste Frau Maier« steht in der rechten, unteren Ecke.

Sybille Föll

Artikel vom 09.09.2009
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