Neues Wohnprojekt der Münchner AIDS-Hilfe

München · Es gibt eine Alternative

Das Wohnprojekt der AIDS-Hilfe war für Bob (67) ein Rettungsanker. Nach dem Tod seines Lebensgefährten war er auf sich allein gestellt. Die WG ist für ihn eine echte Alternative. Sein Zimmer ziert das Portrait seines verstorbenen Lebensgefährten.  F.: K.

Das Wohnprojekt der AIDS-Hilfe war für Bob (67) ein Rettungsanker. Nach dem Tod seines Lebensgefährten war er auf sich allein gestellt. Die WG ist für ihn eine echte Alternative. Sein Zimmer ziert das Portrait seines verstorbenen Lebensgefährten. F.: K.

Ein ganz neues Leben hat jetzt für die fünf Männer ab 50 begonnen, die seit April unter einem Dach in der ersten homosexuellen Wohngemeinschaft „rosa ALTERnative“ der Münchner AIDS-Hilfe zu Hause sind. Krankheit und Schicksalsschläge haben die Bewohner in der WG zusammengeführt, in der sie medizinisch versorgt werden und die ihnen nun ein gemeinschaftliches Zuhause, aber dabei gleichzeitig auch Privatsphäre bietet.

Die gemeinsame Unterkunft hat die Männer aufgefangen. Johann (75, Name geändert) hätte sonst nicht mehr gewusst, wie er seinen Alltag bewältigen sollte. Nach dem Tod seines Partners war er allein in seiner früheren 100 Quadratmeter großen Wohnung. Müll wegbringen, kochen, waschen, putzen, das alles ist ihm über den Kopf gewachsen. Außerdem ist Johann Epileptiker und muss regelmäßig Tabletten nehmen. Ähnlich ist es auch Bob (67) ergangen. Sein Lebensgefährte ist im vergangenen November gestorben. „Mein Freund hat alles für mich gemanagt“, sagt der WG-Bewohner und hat dabei Tränen in den Augen. In der Wohngemeinschaft finden die beiden durch ihre Mitbewohner, durch Pflegedienste und die regelmäßige Betreuung durch Mitarbeiter der Münchner AIDS-Hilfe den nötigen Rückhalt für ihr Leben.

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Und es menschelt halt auch, wie in jeder WG. „Einiges läuft gut, anderes schlecht“, sagt zum Beispiel Johann lapidar über das Zusammenleben in der 240-Quadratmeter-Wohnung an der Lindwurmstraße. Und murrt ein wenig, denn in der Nacht zuvor ist er von lauter Musik und Telefonklingeln wach worden. „Das stört extrem.“ Der lärmende Nachbar konnte nicht ausgemacht werden, vielleicht kamen die Geräusche auch nicht aus einem angrenzenden Zimmer, sondern aus einer anderen Wohnung.

Wenn es drauf ankommt, halten die Bewohner nach den wenigen Wochen ihres Zusammenlebens jetzt schon zusammen. Denn zwei der Bewohner sind HIV-positiv, darüber wird in der WG ganz offen geredet. Dabei wird um das Thema aber gar nicht viel Wind gemacht. „Das wird einmal besprochen, bist du HIV-positiv – aha – dann ist die Sache geregelt“, sagt Johann. Auch Michael (Name geändert), mit 53 der Zweitjüngste in der WG, gefällt der „unkomplizierte und unverkrampfte“ Umgang mit der HIV-Erkrankung. „Wir wissen natürlich um die Bedeutung, aber generell werden keine neugierigen Fragen gestellt.“ Eine weitere Herausforderung ist die Tatsache, dass einige Mitbewohner körperlich schwer beeinträchtigt sind.

Der Umgang mit verschiedenen Krankheiten erfordert Fingerspitzengefühl und gegenseitige Unterstützung. Michael achtet zum Beispiel auf Johann, der unter epileptischen Anfällen leidet. Er sieht öfter mal im Zimmer des 75-Jährigen nach dem Rechten. „Johann kann sich drauf verlassen, dass ich bei einer bedenklichen Situation oder gar einem Anfall den Arzt rufe“, sagt Michael. Das beruhigt, auch Michael selbst, der seit einem Verkehrsunfall schwer behindert und ein Pflegefall ist und sich im umgekehrten Fall genauso auf seine Mitbewohner verlassen kann. Für ihn ist das „Solidarität unter Schwerbehinderten“. Das Modell der Münchner AIDS-Hilfe ist für sie alle eine Möglichkeit, mit ihren außergewöhnlichen Herausforderungen im Alltag zurechtzukommen.

Das Konzept scheint aufzugehen. „Ich habe mich eingelebt“, sagt Johann. Und feixt ein wenig, als er erzählt, dass er oft mit Michael zum Mittagessen ins Café Regenbogen der Münchner AIDS-Hilfe geht, das im gleichen Haus im Erdgeschoss ist: „Die Leute dort denken wahrscheinlich schon, wir gehören zusammen.“

In der WG bekommen die Männer die psychosoziale Begleitung, ärztliche und pflegende Unterstützung, die sie brauchen, ohne in der Atmosphäre eines Krankenhauses zu leben. Darüber hinaus kümmern sich Diana Zambelli, Leiterin Betreutes Wohnen bei der Münchner AIDS-Hilfe, und ihre Mitarbeiter um die fünf Mieter. „Ich finde, dass das WG-Zusammenleben ziemlich gut läuft“, sagt Zambelli. Hakt es doch einmal, greift sie in ihrer Rolle als „Moderatorin“ ein. Die halbe Stelle der Moderatorin ist für eineinhalb Jahre vom Bayerischen Staatsministerium finanziert und mit Zambelli besetzt. Sie muss dabei vor allem Organisatorisches regeln und zwischen den Bewohnern vermitteln, damit die Wohngemeinschaft „irgendwann selbstständig existieren kann“.

Die Idee der „ambulanten WG“ wurde unter anderem am Stammtisch der „rosa ALTERnative“ im Café Regenbogen weiterentwickelt, der seit Juni 2006 einmal monatlich tagt. Das Haus an der Lindwurmstraße ist von der AIDS-Hilfe gemietet. In der Wohngemeinschaft ist noch ein Zimmer frei. Bewerben kann sich jeder homosexuelle Mann ab 50. Ansonsten entscheidet laut Diana Zambelli „Zwischenmenschliches“. Alle aktuellen Bewohner haben bei der Bewerber-Wahl Mitspracherecht: „Der erste Eindruck sagt meistens schon, ob es passt oder nicht“, sagt Johann. Mentalität und Temperament müssten stimmen, sind sich die WG-Bewohner einig. Und dann wird natürlich noch demokratisch über den „Neuen“ abgestimmt. Von Kirsten Ossoinig

Artikel vom 02.07.2009
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