Ort der Trauer – Ort der Begegnung am Ostfriedhof

Giesing/Harlaching · Letzte Ruhestätte

V. l. Pathologe Alfred Riepertinger, Klinik-GmbH-Geschäftsführer Manfred Greiner, Spender Florian Rauch, der katholische Krankenhausseelsorger Dr. Thomas Hagen sowie der evangelische Pfarrer Günter Breit von der Seelsorge im Krankenhaus.  Foto: Hettich

V. l. Pathologe Alfred Riepertinger, Klinik-GmbH-Geschäftsführer Manfred Greiner, Spender Florian Rauch, der katholische Krankenhausseelsorger Dr. Thomas Hagen sowie der evangelische Pfarrer Günter Breit von der Seelsorge im Krankenhaus. Foto: Hettich

Giesing/Harlaching · »Nur die Kinder wissen, wohin sie wollen!« Diese bezeichnende Inschrift aus der Feder des berühmten Dichters Antoine de Saint Exupéry prägt jenes Grab aus hellem Jura-Marmor mit der trockenen Verwaltungsnummer 72-15-0007 auf dem Münchner Ostfriedhof.

Eine neue Grabstätte, die anders ist als all die anderen Ruhestätten ringsum. Denn hier werden künftig die sterblichen Überreste der sogenannten Schmetterlingskinder liegen – jene toten Föten aus Fehlgeburten oder Abtreibungen, denen ein wirkliches Leben verwehrt blieb, deren Eltern und Angehörige aber künftig einen Ort des Trauerns und Erinnerns haben. In einer lichten Aussparung am oberen Ende des massiven Steins »flattern« dann auch ein paar kunstvolle Schmetterlinge aus Emaille als Erinnerung an die kleinen Wesen, die hier eine letzte Ruhestätte gefunden haben. Seit dem Jahr 2006 gibt es eine sogenannte Bestattungspflicht auch für Totgeburten, die weniger als 500 Gramm wiegen. Die städtischen Kliniken haben das Grab angemietet. Bisher waren diese Frühchen auf einem anonymen Gräberfeld ebenfalls am Ostfriedhof zur letzten Ruhe gebettet worden.

Bereits am vergangenen Mittwoch waren hier die ersten Föten beigesetzt worden – am letzten Donnerstag dann wurde die neue Grabstätte vom katholischen Klinikseelsorger Thomas Hagen und Pfarrer Günter Breit von der Evangelischen Seelsorge im Rahmen einer kurzen, feierlichen Zeremonie seiner Bestimmung übergeben – auch Ahmet Incel von der muslimischen Gemeinde in München wohnte der Zeremonie bei. Bei den Emaille-Schmetterlingen wurden dann nach einem alten jüdischen Brauch von den beiden Geistlichen wie auch von Manfred Greiner als Chef der Münchner Klinik GmbH und Florian Rauch, dessen Unternehmen die Grabstätte gespendet hatte, kleine Kieselsteine platziert. Diese sollen jene ebenso kleinen »Seelen« symbolisieren, die hier ruhen.

Manfred Greiner hob in seiner Begrüßungsrede den besonderen Anspruch an die neue Grabstätte hervor. »Jetzt haben hier betroffene Eltern die Gelegenheit, einen Ort aufzusuchen, wo sie innehalten, ihr Schicksal etwas verarbeiten und trauern dürfen – besonders auch jene Eltern, die kein eigenes Grab haben oder es sich nicht leisten können«. Florian Rauch unterstrich gegenüber der Harlachinger Rundschau diesen wichtigen Ansatz. »Das gemeinsame Erleben und Verarbeiten der Eltern ist sehr wichtig – da wird diese Grabstätte sicher hilfreich sein«.

Bislang habe eine solche Basis gefehlt, die Eltern »zusammen zu bringen und den Dialog untereinander zu fördern«. Aus seiner beruflichen Praxis als Bestattungsunternehmer kennt Rauch die Defizite des Nichtverarbeitens solcher Erlebnisse. »Bis zu 80 Prozent der Paare, die ein solches Schicksal erleben, trennen sich«, nennt er erschreckende Zahlen aus dem praktischen Erleben. Am neuen Grab haben die Eltern nun Gelegenheit, sich zu treffen, gemeinsam zu trauern und sich mit Menschen gleichen Schicksals auszutauschen. »Da besteht ein enormer Bedarf«, weiß auch Pathologe Alfred Riepertinger. Aus den vier städtischen ­Kliniken Schwabing, Bogenhausen, Neuperlach und Harlaching werden rund 300 tote Föten pro Jahr an sein pathologisches Institut am Klinikum Schwabing überstellt. Riepertinger übernimmt sensibel deren weitere Behandlung. Er registriert die kleinen Körper, untersucht und verwahrt sie in einer speziellen, tiefgekühlten Fötenbox – bis die Föten schließlich zur Einäscherung gelangen.

Bei Riepertinger sind diese in den richtigen Händen. Seit 1977 arbeitet er für die städtischen Kliniken, hat in diesem Bereich riesige Erfahrung und steht ausdrücklich dafür ein, die »Föten mit Ehrfurcht zu behandeln«. Das ist mit der neuen Einrichtung am Ostfriedhof gelungen. »Hier haben die Kleinen und ihre Eltern einen guten Ort«, stellt Nicole Rinder vom Institut Aetas fest, das Eltern beisteht, die ihr Kind verloren oder infolge von Schwerstbehinderung oder fehlender Lebensfähigkeit abgetrieben haben. Bei der Stadt und der Klinik GmbH hat man zudem eine Lücke geschlossen. Denn während es am Waldfriedhof im Münchner Westen bereits seit 2007 ein Grab für größere »Schmetterlingskinder« gibt, ist die Stätte am Ostfriedhof die erste münchenweit für die ganz Kleinen. Die Muslime sagen im Fall des Todes solcher ganz jungen Menschenkinder: »es ist ein Engel geworden«. Pfarrer Günter Breit bittet abschließend »um Gottes Segen für alle – die hier ruhen und jene, die um sie trauern«.

Halbjährlich sollen vor Ort jetzt kleine Gedenkfeiern mit Vertretern der verschiedenen Kirchen abgehalten werden. »Schön ist, dass die Namenlosen hier einen sichtbaren und greifbaren Ort bekommen haben«, lobt Pfarrer Breit abschließend die Aktion.

Harald Hettich

Artikel aktualisiert am 22.03.2011.

Artikel vom 20.05.2009
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