Spannende Aktion zum Ende der Räterepublik vor 90 Jahren

Giesing/Harlaching · Gegen das Vergessen vorgehen

Die drei Organisatoren der Veranstaltung im Schatten der ehrwürdigen Geschichtssäule: Roland Astor, Claus Obalski und Horst Walter (v.l.). Foto: Hettich

Die drei Organisatoren der Veranstaltung im Schatten der ehrwürdigen Geschichtssäule: Roland Astor, Claus Obalski und Horst Walter (v.l.). Foto: Hettich

Giesing/Harlaching · »Unter den ersten Opfern waren ein 13-jähriger Schüler aus der Zugspitzstraße, ein 16-jähriger Schreinerlehrling aus der Pilgersheimer Straße und ein 54-jähriger aus der Untersbergstraße« - Einblicke in jene Chronologie des Schreckens und der Gräueltaten, die ganz Giesing vor 90 Jahren in ihren Bann zogen.

Mit dem Ende der Monarchie und dem Ausrufen der Republik und des Freistaates Bayern durch Kurt Eisner begann im Jahr 1919 das blutige Wüten rechter Freikorpsverbände gegen Anhänger der politischen Linken und der jungen Republik. Bei grausamen Kampfhandlungen kamen allein zwischen dem 1. und 3. Mai in München über 600 Menschen ums Leben – die kurzzeitig ausgerufene Räterepublik fand ihr jähes Ende. Als traditionsreiches Arbeiterviertel war Giesing neben Haidhausen oder dem Westend einer der Hauptangriffspunkte der Freikorpsverbände – 61 Menschen aller Altersgruppen starben allein in Ober- und Untergiesing in diesen drei Tagen. »Die sind in fünf Einheiten mit über 2.000 Mann unter dem Freiherrn von Epp aus drei Richtungen nach München einmarschiert und haben ihr unvorstellbar gewütet«, so Horst Walter, Vorsitzender des Vereins Freunde Giesings, bei seinen Einführungsworten zu einer ganz speziellen Gedenkveranstaltung am letzten Samstag an der Gedenksäule.

Der Ort war gut gewählt. Denn der Giesinger Bildhauer Konstantin Frick, 1907 in Giesing geboren und dort aufgewachsen, hatte die Erschießungen und heftigen Kampfhandlungen selbst erlebt – jenen verzweifelten Versuch, republikanischer Kräfte, die neue Republik am Leben zu erhalten, die in einem kollektiven Abschlachten durch die Freikorps endete. Die beiden Schauspieler und Sprecher Roland Astor und Claus Obalski verliehen der Veranstaltung mit ihren gekonnt vorgetragenen, eindringlichen Textauszügen aus dieser bewegten Zeit einen würdigen Rahmen. In den Kern ihrer Ausführungen stellten die beiden den 1870 in Karlsruhe geborenen Schriftsteller, Pazifisten und Politiker Gustav Landauer. Sein Lebenslauf steht beispielhaft für diese bewegten Zeiten. Er wirkte im Kabinett des im Februar 1919 vom Graf Arco Valley ermordeten Ministerpräsidenten Kurt Eisner als Beauftragter für Kultur und Volksaufklärung mit, setzte sich aber zudem auch kritisch mit den kommunistischen Tendenzen in der neuen Räte-Republik auseinander.

Beim Einmarsch der gegenrevolutionären Freikorpsverbände wurde Landauer am 1. Mai verhaftet und nur einen Tag später im Zuchthaus Stadelheim brutal ermordet. Sein Wirken, seine Reden und Aufzeichnungen brachten Astor und Obalski dem interessierten Auditorium in Erinnerung. Plastisch ließen die beiden Akteure jene Zeit durch ihr gekonntes Wechselspiel aus historischen Fakten und Zitaten und Anmerkungen Landauers werden. »Verurteilt wurden die Mörder Landauers in Stadelheim nach ihrer Bluttat an Landauer nie«, so Horst Walter in seiner Schlussbetrachtung. »Lediglich wegen des Diebstahls der Uhr des ermordeten Gustav Landauer wurde einer der Wachleute belangt – welch Zynismus«, so Horst Walter.

Ausstellung

Wer tiefer in diese wichtige Epoche deutscher, bayerischer und Giesinger Geschichte eintauchen möchte, der hat hierzu vom 10. bis 17. Mai im Kulturzentrum am Giesinger Bahnhof bei einer Themenausstellung mit täglich wechselndem Rahmenprogramm umfassend Gelegenheit. Im Mittelpunkkt steht eine Ausstellung zu Ehren des Pazifisten, Schriftsteller uns Politikers Ernst Toller – einem Weggefährten Landauers in den Zeiten der Räterevolution.

Harald Hettich

Artikel vom 06.05.2009
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