Abenteuerspielplatz für Nonkonformisten: »Rationaltheater« wieder eröffnet

Schwabing · Wildes Wohnzimmer

Dieter Höss hat dem Schauspiel-Kleinod »Rationaltheater« mit bewegter Vergangenheit und 60er-Jahre-Flair neues Leben eingehaucht. 	Foto: ko

Dieter Höss hat dem Schauspiel-Kleinod »Rationaltheater« mit bewegter Vergangenheit und 60er-Jahre-Flair neues Leben eingehaucht. Foto: ko

Schwabing · Was macht ein Dokumentarfilmer, der eigentlich weder von Kabarett noch von Gastronomie Ahnung hat, mit einem Theater? Er malt eigenhändig Getränkepreise auf die Tafel hinter dem Bartresen. Er baut das kuschelige Schauspielhaus mit einer versenkbaren Kinoleinwand und ausgefeiltem musikalischem Hightech zum eigenen »Abenteuerspielplatz« um. Und bietet so »Nonkonformisten« eine Plattform zu künstlerischer Selbstverwirklichung.

Dietmar Höss, Filmemacher und Produzent, hat sich auf den ersten Blick in das »Rationaltheater« an der Hesseloherstraße 18 in Altschwabing verliebt. Vergangenes Wochenende wurde es eröffnet. Ende 2008 hat er das Etablissement vom Gründer, dem Volkswirt, Schriftsteller und Kabarettisten Reiner Uthoff gepachtet. »Abseits vom Mainstream« soll das neue Projekt von Dieter Höss sein, mit Clubbetrieb, Gastronomie, Kinovorführungen, Theater und Kabarett. »Die Bühne soll vor allem Newcomern, schrägen Menschen und politisch Engagierten gehören sowie DJs und Bands, die live spielen möchten.«

Und wenn die Darbietung dem Publikum nicht gefällt? »Dann wird er eben ausgebuht, ich mische mich da nicht ein«, sagt Höss, und vertritt damit wohl ein wenig das Rationaltheater-Flair vergangener Zeiten. Denn im Schauspielhaus, gegründet 1965 in der Hohenzollernstraße und seit 1976 am jetzigen Standort, wurden Programme aufgeführt, die für politischen Wirbel sorgten: mit Strafverfahren wegen Gotteslästerung und Beschimpfung des Staatsoberhauptes. Reiner Uthoff inszenierte über 35 Stücke mit Jochen Busse, Otto Sander, Sigi Zimmerschied oder Bruno Jonas. Dietmar Höss tritt also ein schweres Erbe an. Und fühlt sich ihm auch irgendwie verpflichtet.

Vor allem technisch hat Höss aber in den vergangenen Monaten das urige Schauspielhaus gemeinsam mit Freunden auf Vordermann gebracht. Die Einrichtung selbst ist nahezu im Originalzustand. Rot geblümte, grün karierte Sessel, roter Teppich und schummriges Licht sorgen für plüschige Atmosphäre, Barhocker und Tresen für entspannten Lounge-Charakter. In der Mitte der Bühne ist eine Kinoleinwand versenkt, die mit einer Kurbel nach oben gedreht wird. Begeistert führt Dietmar Höss den »Leinwandeffekt« vor. Er kurbelt eifrig seitlich an der Bühne – und tatsächlich, wie aus dem Nichts erhebt sich die Fläche für die bewegten Bilder. Die bis vor über einem Jahr das Hauptmetier des Dokumentarfilmers waren. Mit dem Rationaltheater hat sich Hess bei allem Vergnügen auch einen Haufen Arbeit aufgebürdet, das weiß der 49-jährige gebürtige Münchner. Aber er ist nun mal Idealist. Und kennt harte Arbeit aus der Filmbranche. »Politische Filme machen ist echt Hardcore. Vor allem das Geld dafür auftreiben.«

Um das große Geldverdienen geht es Höss wahrlich nicht, was das Rationaltheater angeht. Eine erste große Hürde und Herausforderung hat Höss bereits gemeistert: Er hat Reiner Uthoff überzeugt, der skeptisch war, ob denn ein Dokumentarfilmer der richtige Betreiber für sein Schauspiel-Kleinod sei. Bis er einen von Höss’ Filmen gesehen hat. Direkt danach soll er zum Dokumentarfilmer gesagt haben: »Du kannst den Laden haben.«

Kirsten Ossoinig

Artikel vom 17.02.2009
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