Iris Berben über Heldinnen, selbstbewusste Frauen, Religion und die Wirtschaftskrise

München - „Buddenbrooks“ ab 25. Dezember im Kino

Konsul Jean (Armin Mueller-Stahl), der Patriarch der Familie Buddenbrook, und seine Frau Bethsy (Iris Berben) sind angesehene Mitglieder der Lübecker Gesellschaft.

Konsul Jean (Armin Mueller-Stahl), der Patriarch der Familie Buddenbrook, und seine Frau Bethsy (Iris Berben) sind angesehene Mitglieder der Lübecker Gesellschaft.

München - Seit 1968 steht Iris Berben regelmäßig vor der Kamera, sie gilt heute als Deutschlands beliebtester Film- und Fernsehstar. In Heinrich Breloers Kinofilm „Buddenbrooks“ verkörpert die politisch und sozial engagierte Schauspielerin nun die Konsulin Bethsy Buddenbrook, die ihre zerbröckelnde Familie zusammenzuhalten versucht.

Vor dem Kinostart am Donnerstag, 25. Dezember, hat das SamstagsBlatt mit der 58-jährigen Schauspielerin gesprochen.

SamstagsBlatt: Frau Berben, nach Bethsy Buddenbrook haben Sie nun auch Bertha Krupp gespielt. Geht Ihnen die Rolle der Patriarchin allmählich in Leib und Seele über?

Berben: Irgendwann wächst man in ein Alter hinein, in dem die Komplexität solcher Frauenfiguren sehr groß ist. Diese Frauen sind auch groß in ihrem Scheitern. Da kommen hoffentlich noch ein paar, die wirklich scheitern, damit es nicht immer nur die Heldinnen sind. Bethsy Buddenbrook ist eine Heldin ihrer Zeit, auch wenn man sie heute nicht mehr so titulieren würde. Das Korsett ihrer Zeit und das Korsett, das sie als Frau trägt, schnüren sie gesellschaftlich sehr ein. Eine Heirat ist keine Liebesheirat, sondern eine Vernunftehe. Bethsy ist eine Frau, die in der Gesellschaftsstruktur der damaligen Zeit funktioniert, in der sie gar keine andere Chance hatte. Ihr Wirken ist auf ihre Familie beschränkt, es gilt anständig zu bleiben, die Haltung zu wahren und nach außen hin ein Bild aufrechtzuerhalten, auch wenn es im Inneren bröckelt.

SamstagsBlatt: Befinden Sie sich auch in der Situation, immer funktionieren zu müssen?

Berben: Manchmal kommt der Wunsch auf, einfach mal nicht mehr so gut zu funktionieren. Aber Sie meinen natürlich etwas Anderes. Dieses funktionieren müssen innerhalb einer Gesellschaftsform war für mich kein großes Thema. Ich musste mir nicht erst einen emanzipatorischen Weg oder eine Lebensform aneignen, weil meine Mutter mir das vorgelebt hat, meine Großmutter ebenfalls. Beide waren sehr selbstbewusste Frauen, die zu ihren Zeiten sehr ungewöhnliche Wege beschritten haben. Meine Mutter ist in ganz frühen Jahren nach Portugal gegangen, in ein ihr völlig fremdes Land, und hat dort alleine ihr Leben aufgebaut. Nach einer Trennung hat sie eine Chance gesehen, indem sie sich dem absolut Fremden, einschließlich der Sprache Portugiesisch, ausgesetzt und sich etwas ganz Neues geschaffen hat. Sie war immer selbstständig, sie hat ihr Studium nachgeholt und durch eine ungeheure Neugierde ihr Leben vorangetrieben. Ich glaube, ich habe viel von ihrem Wesen.

SamstagsBlatt: Sind Sie so stark wie sie?

Berben: Ich glaube schon, dass ich stark bin. Allerdings ist meine Mutter die Intellektuelle. Bei ihr kommt zu ihrer Neugierde und zu ihrer Offenheit für Unbekanntes noch die Vernunft dazu. Sie setzt ihre Ratio ungeheuer klar ein. Das ist bei mir nicht immer der Fall, ich bin emotionaler und instinktiver.

SamstagsBlatt: Wie aktuell sind die Buddenbrooks in Zeiten der Wirtschaftskrise?

Berben: Zynisch könnte man sagen, dass man nicht sehr viel gelernt hat. Solche Krisen werden in Wellen wohl immer wieder kommen. Was bedeutet es dann, 2008 so einen Film zu machen, wo ist die Aktualität? Die Quintessenz ist doch die Frage, wie man bei allen Neuerungen, bei allen Verführungen, bei allen Entwicklungen, die da stattfinden, anständig bleibt. Der Roman wird insofern seine Gültigkeit behalten, als das es immer eine zentrale Frage sein wird, wie man anständig bleibt.

SamstagsBlatt: Bethsy beginnt im Roman zu frömmeln.

Berben: Für viele Menschen ist es im Alter eine Rettung, fromm zu werden. Vielleicht ist es auch das Resümee eines Lebens, in dem Vieles nicht möglich war. Wir haben bei Bethsy in kleinen Szenen zu zeigen versucht, dass diese vernunftgesteuerte Frau trotzdem auch eine Weichheit hat, die sie aus ihrem Elternhaus mitgebracht hat. Heinrich Breloer war da wirklich ein wunderbarer Partner. Bethsy hat auch eine gewisse Eitelkeit, sie hat ein Paar rote Schuhe und die zieht sie im Alter immer an. Eigentlich würden sie gar nicht zum Kostüm und nicht zu ihr passen. Das sind ganz winzig kleine Irritationen, die wir ihr gegeben haben. Sie wird fromm, auch das wird erzählt. Es geschieht nicht abrupt, aber nach dem Tod ihres Mannes ist es auch eine Möglichkeit für sie, Schmerz zuzulassen und zu verarbeiten, damit umzugehen. Ich kann es nachvollziehen, dass Menschen sich da hinein retten.

SamstagsBlatt: Für Sie käme dieser Ausweg nicht in Frage?

Berben: Nein. Ich bin sehr streng katholisch erzogen worden und da war es die erste Reaktion, auszutreten. Diese Trotzreaktion wurde auch dadurch bestärkt, dass die Fragen, die ich hatte, von dieser Institution nicht beantwortet werden konnten. Ich stellte auch zunehmend fest, dass diese ganze Thematik noch viel komplexer ist, wie perfide Religion benutzt wird. Ich kann absolut verstehen, dass Menschen sich dahin retten und dass sie vielleicht auch zufriedenere Menschen sind, weil sie vieles über eine Religion oder über eine Kirche, einen Gott und eine Regel, die man dort aufstellt, beantwortet kriegen.

SamstagsBlatt: Beantwortet der Beruf Ihre Fragen?

Berben: Der Beruf hat natürlich auch ganz viel mit Selbstanalyse zu tun. Das geschieht nicht bewusst, man steuert das nicht, aber du beschäftigst dich mit einer Figur auch durch das eigene Hinterfragen. Gerade dadurch, dass man als öffentlicher Mensch in einer ungeheuren Häufigkeit ständig von anderen wahrgenommen, erklärt und beurteilt wird, ist es ganz wichtig, den Punkt zu finden, an dem man selbst steht. Ist man so verwoben mit seinem Beruf, dass man sich nur über ihn definiert? Als Mensch dieser Gesellschaft habe ich auch noch ein anderes Leben. Es ist mir ganz wichtig, immer wieder auf Menschen zu treffen und Gespräche zu führen, die sich um etwas Fassbares und Greifbares drehen, zum Beispiel bei meinen Lesungen. Natürlich ist mein Beruf ein Greifbarer in der Professionalität, mit der ich ihn ausübe. Aber es ist nicht so, dass ich mich darin verliere und nur in Figuren leben kann. Ich nehme als Mensch sehr genau Anteil am Tagesgeschehen in dieser Gesellschaft, mit allem was dazugehört, mit Hartz IV-Fragen, mit Kindererziehung, mit eigenen Krankheiten. Viele Leute blenden das immer so aus, als hätte man das nicht.

SamstagsBlatt: Armin Mueller-Stahl zieht sich in die Malerei zurück. Haben Sie auch einen solchen Rückzugsort?

Berben: Das sind meine Lesungen. Ich beschäftige mich dann intensiv mit Literatur aus der betreffenden Zeit. Bücher sind eine Welt, in der ich wahnsinnig gerne versinke. Obwohl ich wirklich so unendlich viele Bücher besitze, die ich noch nicht gelesen habe, komme ich nie mit leeren Händen aus einer Buchhandlung. Will ich für jemanden ein bestimmtes Buch kaufen, komme ich mit dreien für mich wieder raus. Das ist eine schöne Welt, die mir den absoluten Rückzug ermöglicht.

SamstagsBlatt: Haben Sie den Wunsch, selbst einen Roman zu schreiben?

Berben: Nein, Romane nicht. Ich schreibe hin und wieder, das habe ich früher schon gemacht und es ist für mich wichtig. Ich will es nicht veröffentlichen. Irgendetwas muss jetzt mal für mich sein.

Von André Wesche

Artikel vom 19.12.2008
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