Kontaktladen »Pedro« – seit zehn Jahren Hilfe für Suchtkranke

Neuperlach · Ein besseres Leben

Umweltreferent Joachim Lorenz, stv. Bezirkstagspräsidentin Friederike Steinberger, Klaus Fuhrmann (Condrobs), Susanne Taubmann (Leiterin Pedro), Prof. Joachim Körkel, BA-Vorsitzende Marina Achhammer und Axel Eberth, 1. Vorsitzender Condrobs e.V.  Foto: Fö

Umweltreferent Joachim Lorenz, stv. Bezirkstagspräsidentin Friederike Steinberger, Klaus Fuhrmann (Condrobs), Susanne Taubmann (Leiterin Pedro), Prof. Joachim Körkel, BA-Vorsitzende Marina Achhammer und Axel Eberth, 1. Vorsitzender Condrobs e.V. Foto: Fö

Neuperlach · Am 13. Februar 1998 eröffnete »Condrobs – Prävention & Suchthilfe« den Kontaktladen »Pedro« in Neuperlach. Den zehnten Geburtstag nahm das Team letzte Woche zum Anlass Resümee zu ziehen und seine Arbeit vorzustellen.

Auf die Straße gehen die Mitarbeiter selten. Die Suchtkranken kommen selbst in den Kontaktladen an der Ollenhauer Straße 7, wo sie einen geschützten Raum finden. Fünf Suchtexperten kümmern sich hier um sie, bieten Beratung, eine warme Mahlzeit und Getränke, medizinische Grundversorgung, Dusche, Waschmaschine und Kleidung, Spritzentausch und Kondome. Neben dieser Grundversorgung werden aber auch Workshops und Informationsveranstaltungen angeboten, Freizeitaktivitäten und die Begleitung zu Behörden, Ärzten und weiterführenden Einrichtungen, z.B. für einen Entzug.

»Unser primäres Ziel ist aber nicht der völlige Entzug, sondern die Gesunderhaltung der Menschen«, erklärt Klaus Fuhrmann, Bereichsleiter Niedrigschwellige Arbeit bei Condrobs. Der Erfolg von Pedro lasse sich auch nicht in Zahlen darstellen, wie viele von den Besuchern inzwischen »clean« sind, sondern: »Erfolg ist für uns, wenn wir die Leute erreichen und sie auch halten können«. Es soll ihnen einfach besser gehen. Gesellschaftlich gesehen besteht der Erfolg darin, dass diese Menschen nicht mehr gezwungen sind, sich durch Diebstahl ihren Lebensunterhalt und das Geld für Drogen beschaffen zu müssen, dass sie im besten Fall sogar wieder in ein normales Leben eingegliedert werden können. Ein langer Kontakt sei die beste Basis für ein endgültiges »Cleanwerden«. Im Jahr 2007 hatten die Pedro-Suchtexperten über 6.600 Kontakte zu über 480 Suchtkranken. Waren es vor zehn Jahren noch rund 76 Prozent Jugendliche und Erwachsene mit türkischem Migrationshintergrund, so ist der Anteil inzwischen auf 36 Prozent gesunken, über 60 Prozent sind Deutsche. Dafür stieg der Anteil der Mädchen und Frauen von elf Prozent im Jahr 1998 auf heute 34 Prozent.

Auch die Altersstruktur hat sich verändert: Waren vor zehn Jahren die meisten Besucher des Kontaktladens unter 30 Jahre, so sind heute 65 Prozent der Hilfe Suchenden zwischen 31 und 45 Jahre alt und substituiert. Substituiert bedeutet, dass die ehemals Heroinabhängigen als Ersatz unter ärztlicher Aufsicht Methadon verabreicht bekommen. Zugenommen habe Alkoholabhängigkeit und Mischkonsum, so die Leiterin der Einrichtung, Susanne Taub- mann. Weil die Nationalitä- ten heute breiter gefächert sind, wünscht sich Fuhrmann mehr Unterstützung im Bereich Migrationsarbeit, z.B. muttersprachliche Mitarbeiter für Russland-Deutsche. Seit Condrobs einen türkischen Mitarbeiter in Vollzeit beschäftigt, käme man viel besser in Kontakt mit Suchtkranken türkischer Herkunft, so Fuhrmann.

Immer weniger

Demnächst plant das »Pedro« die Einführung eines Konsumreduktionsprogramms nach der von Prof. Dr. Joachim Körkel von der GK Quest Akademie GmbH entwickelten Methode, kurz KISS-Programm genannt (Kontrolle im selbstbestimmten Substanzkonsum). Es ist ein freiwilliges Gruppenangebot, bei dem die substituierten Teilnehmer lernen sollen, ihren so genannten »Beikonsum«, also Alkohol, Tabletten etc. zu reduzieren.

Ein langer Weg

»Kontaktläden haben eine wichtige Bedeutung«, betonte Gesundheitsreferent Joachim Lorenz. Viele drogenabhängige Menschen seien aufgrund der Schwere ihrer Erkrankung nicht mehr in der Lage, höherschwellige Angebote wie städtische Beratungsstellen in Anspruch zu nehmen. Schamgefühle, Angst und Misstrauen, aber auch feste Sprechzeiten oder Terminvergaben stellten für viele unüberwindbare Hürden dar. Einrichtungen wie das Pedro ermöglichten ihnen hingegen einen schnellen und unkomplizierten Zugang zum Hilfesystem. Und der Standort mitten in einem Wohnviertel signalisiere, dass Suchterkrankungen zur Normalität einer Stadtgesellschaft gehören. Zu dieser Einsicht kam man allerdings erst Anfang der 90er Jahre. In dieser Zeit spitzte sich die Drogenproblematik in Neuperlach zu, wie die Vorsitzende des Bezirksausschusses (BA) 16 Ramersdorf-Perlach, Marina Achhammer (SPD) berichtete. »Täglich sorgten Einsätze der Polizei am Hanns-Seidel-Platz für Aufregung, in Freizeiteinrichtungen tauchten immer häufiger Spritzen und andere Drogenutensilien auf.« Aus dem Arbeitsausschuss Neuperlach heraus entstand im Jahr 1992 das »Drogenfachgespräch Neuperlach«, an dem Vertreter aus den Freizeiteinrichtungen, Schulen, Sozialhilfeeinrichtungen, Politik und Polizei teilnahmen. In Anträgen an den BA wurden Drogen-Streetworker gefordert, 1995 auch eine Drogenberatungsstelle für Neuperlach.

Pilotcharakter

»Die Politik der Landeshauptstadt war damals geprägt von ›Law an Order‹, an Spritzenautomaten oder gar Fixerstuben war nicht zu denken«, erzählte Achhammer. Doch 1996 wurden endlich Gelder für Neuperlach in den Haushalt gestellt, die seit Jahren in der Drogenhilfe erfahrene Organisation Condrobs stand in den Startlöchern. Bis im Februar 1998 das »Pedro« in den ehemaligen Räumen des SOS Familienzentrums einziehen konnte und Pilotcharakter annahm.

Der Mietvertrag läuft noch bis Herbst 2009, dann muss das »Pedro« umziehen. »Was momentan noch fehlt, ist der dringend notwendige Ausbau der Psychosozialen Betreuung (PSB), insbesondere in Zusammenhang mit der Methadonambulanz im Marxzentrum (s. Extrakasten)«, so Achhammer. Condrobs biete in der Arztpraxis zwar schon Beratungsgespräche an, dies sei aber nur begrenzt möglich, weil die Krankenkassen die Kosten nicht übernähmen. Auch mehr Planstellen für Streetworker wünscht sich der BA.

In Bewegung bleiben

Friederike Steinberger, stellvertretenden Bezirkstagspräsidentin, sagte Unterstützung seitens des Bezirks zu. 2007 wurde das »Pedro« vom Bezirk Oberbayern, zu dessen Aufgaben seit 1996 die ‹Koordination Suchthilfe‹ gehört, mit 215.000 Euro bezuschusst. Derzeit werde ein neues Suchthilfekonzept erstellt. Und der Umzug des »Pedro« im nächsten Jahr sei eine Chance für eine Neustrukturierung hin zu einer Sucht-Kontaktstelle für den gesamten Münchner Osten, so Steinberger. »Das Pedro bleibt in Bewegung«, betonte Susanne Taubmann. Seit 30 Jahren ist die Arztpraxis im Marxzentrum auf Suchtkranke spezialisiert, seit einigen Jahren fungiert sie als ambulante Methadonpraxis. »Inzwischen sind rund 20 Prozent der Patienten Kinder von ehemaligen Patienten«, sagt Dr. Thomas Müller. Trotzdem stößt die Praxis auf heftigen Widerstand bei den unmittelbaren Anwohnern, Schriftwechsel zwischen ihnen und dem Bezirksausschuss füllen ganze Aktenordner. »Die Hausverwaltung hat jetzt die Bewohner aufgefordert, auffällige Patienten zu fotografieren«, berichtet BA-Vorsitzende Marina Achhammer. Der BA hat nun eine Rechtsauskunft bei der Stadt München angefordert, inwieweit dies zulässig ist. »Auch wenn sich die Ablehnung gegen die Methadonpraxis richtet, sind das eigentliche Problem alkoholkranke Patienten, denn Alkohol macht aggressiv und laut«, erklärt Müller. Dass Methadonvergabe der richtige Weg in der Drogenpolitik ist, davon ist er überzeugt. »Mit Methadon können die Menschen trotz ihrer Abhängigkeit berufstätig bleiben, sich um ihre Kinder kümmern, und gegen Aids behandelt werden. Viele HIV-Infizierte wissen gar nichts von ihrer Krankheit und stecken so viele andere Menschen an. Wenn sie in unsere Praxis kommen, können wir das verhindern«, betont Müller. Auch die so genannte Beschaffungskriminalität gehe zurück.

Weniger Straftaten

Tatsächlich ist die Straßenkriminalität seit Mitte der 90er Jahre in gesamt München zurückgegangen. Hierunter fallen allerdings nicht nur Raub, Diebstahl und Betäubungsmitteldelikte, sondern auch Sexualverbrechen, Fahraddiebstahl etc., »also alles, was im öffentlichen Raum passiert und durch Kontrolle vermindert werden kann«, erklärt Polizeihauptkommissar Peter Reimann von der Polizeiinspektion (PI 24) in Neuperlach. Im Jahr 1992 hatte die Straßenkriminalität mit 1599 Straftaten im Stadtteil Ramersdorf-Perlach ihren Höchststand erreicht, 1995 waren es nur noch 1260 Fälle, 1998 sank die Zahl auf 950 und 2006 waren es nur noch 699 Straftaten. Im Jahr 2007 wurden in München 78 Prozent der Diebstähle durch »Tatverdächtige mit BTM« begangen, d.h. durch Menschen, die Drogen nehmen.

Pro und Contra Methadon

Bei Menschen, die Methadon bekommen, ist der ewige Kreislauf aus Geld beschaffen, Heroin besorgen, konsumieren, high sein, runterkommen, Geld beschaffen, Heroin besorgen, durchbrochen. Das Medikament dockt an den Nerven-enden an und sorgt dafür, dass Opiate dort nicht wirken können. Methadon kostet rund einen Euro am Tag – plus die Honorare von Apothekern und Ärzten. Gegner der Methadontherapie argumentieren jedoch, dass dabei nur eine Sucht durch eine andere ersetzt wird. Auch ein Entzug ist schwerer als bei Heroin, weil die körperlichen Reaktionen heftiger sind. Und: Wenn man Methadon-Patienten runterdosiert sind sie zwar clean, aber das Verlangen nach Drogen, die Sucht ist noch da. Die Leute werden rückfällig, und der Kreislauf beginnt von Neuem. Die Erfahrung von Dr. Müller: »Zehn bis 20 Prozent schaffen es nach einigen Jahren.«

S. Föll

Artikel vom 19.11.2008
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