Georg Kandlbinder als unentdeckter Kämpfer der Novemberrevolution 1918

Isarvorstadt · Schlachthof-Revoluzzer

25 Jahre arbeitete Georg Kandlbinder ( 1916 mit Sohn Richard) im Thomasbräu am Kapuzinerplatz. Seinen aufregenden Lebenweg zeigt Dr. Christl Knaur-Nothaft in ihrem Buch. F.: ks/DreesbachVerlag

25 Jahre arbeitete Georg Kandlbinder ( 1916 mit Sohn Richard) im Thomasbräu am Kapuzinerplatz. Seinen aufregenden Lebenweg zeigt Dr. Christl Knaur-Nothaft in ihrem Buch. F.: ks/DreesbachVerlag

Isarvorstadt · Auch sieben Liter Freibier pro Tag konnten den Braumeister Georg Kandlbinder, der sein Leben im Schlachthofviertel verbrachte, nicht mundtot machen. Er ließ sich nichts gefallen und beschwerte sich schon im Jahr 1889, im Alter von 17 Jahren, über einen 16-stündigen Arbeitstag. Lauthals hat er sich über die schlechten Arbeitsbedingungen der damaligen Zeit Luft gemacht.

Das brachte ihn ins Zuchthaus, machte den späteren SPD-Funktionär aber kein Stück leiser. Trotzdem hat man bis vor kurzem nichts über den Schlachthof-Revolutionär Kandlbinder (1871 – 1935) gewusst. Dabei hat er sich in der Novemberrevolution 1918 für einen Acht-Stunden-Arbeitstag und gegen Kinderarbeit eingesetzt. Er lebte von 1901 bis 1930 in der Tumblingerstraße und arbeitete im Thomasbräu am Kapuzinerplatz 5, von 1896 bis 1921. Sein Leben hat er vorsorglich auf vierzehn Seiten zusammengefasst.

Das Manuskript kam über seinen Enkel Schorschi an die Historikerin Dr. Christl Knaur-Nothaft, die nun pünktlich zum 90. Jahrestag der Novemberrevolution in Bayern ihr Buch »Georg Kandlbinder. Sozialdemokrat, Revolutionär, Verfolgter« (August Dreesbach Verlag, 18,90 Euro) präsentiert. »Dieses biographische Manuskript ist ein absoluter Glücksgriff. Denn die Wissenschaft hat sich bisher vor allem mit den SPD-Gewerkschaftlern auseinandergesetzt, die eigene Skripten publiziert haben. Kandlbinder war ein mittlerer Funktionär, diese Revolutionäre blieben meist namenlos«, erklärt Knaur-Nothaft.

Im Schlachthofviertel hatte er sich jedoch als Armenpfleger bereits einen Namen gemacht. »Diese Arbeit wurde eigentlich nicht von SPDlern gemacht, das war schon etwas Besonderes. Die Leute haben ihn im Schlachthof akzeptiert«, erklärt Knaur-Nothaft. Dass ihm diese Beliebtheit aber nichts genützt hatte, zeigte sich, als die SPD 1918 in einen gemäßigten Flügel, den Mehrheitssozialdemokraten und in einen linken Flügel der Unabhängigen Demokraten zerfiel.

»Kandlbinder hatte damals wichtige politische Ämter inne, trotzdem wurde er von den eigenen Parteigenossen hinter Gitter gebracht. Solche Kuriositäten lernt man nicht im Studium«, meint Knaur-Nothaft. Hier zeigte sich, dass Kandlbinder wahrlich ein Revoluzzer gewesen sein muss, denn als er mit dem politischen SPD-Aktivisten Erich Mühsam, der später von den Nazis hingerichtet wurde, im Zuchthaus fotografiert werden sollte, »hat er einfach nicht stillgestanden.«

Der Fototermin der beiden platzte und rettete ihm wahrscheinlich das Leben. Er vermied es sich ablichten zu lassen. »Sein Name und sein Gesicht waren den Beamten kaum geläufig«, erklärt Knaur-Nothaft. In einem Polizeiverhör erschien nur der Name »Kanniber«. Zusätzlich wechselte er unerkannt öfter seine Wohnung. Durch dieses trickreiche Verhalten kam er nicht wie viele seiner Parteigenossen ins KZ Dachau.

Zu ihrer Buchpräsentation kehrte die Autorin ins Thomasbräu zurück und würdigte sein aufregendes Leben rund um den Schlachthof. »Kandlbinder war ein Idealist, mit dem Ziel verbesserte Bedingungen für die kleinen Leute zu schaffen.«

Kathrin Schubert

Artikel vom 11.11.2008
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