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Gesundheitsvorsorge für Hauptschüler gefordert
München - Mund auf, Zunge raus!
Tut nicht weh, kann aber Schlimmeres verhindern: Damit körperliche Mangelerscheinungen frühzeitig erkannt werden, sollen sich Münchens Schüler regelmäßig untersuchen lassen, fordert Elisabeth Schmucker. Foto: Archiv
Der Schularzt klopfte an die Tür des Klassenzimmers. Sobald sich die Kinder in Reih und Glied aufgestellt hatten, begann er mit seiner Arbeit. Mund auf, Zunge raus – ein Schüler nach dem anderen musste sich der kurzen Untersuchung unterziehen. Das war’s dann auch schon – die Reihenuntersuchung früher, an Bayerns Schulen, hat nie lange gedauert.
Jetzt sind die Zeiten vorbei, in denen ein Schüler – einer nach dem anderen – vor der restlichen Klasse die Zunge rausstrecken muss. Dass heute allerdings zu wenig auf die Gesundheitsvorsorge an hiesigen Schulen geachtet wird, findet die Münchner Stadträtin Elisabeth Schmucker (CSU). Sie verlangt, an Münchner Hauptschulen wieder regelmäßige schulärztliche Untersuchungen einzuführen. Clemens Hauck, Rektor der Toni-Pfülf-Hauptschule in der Siedlung am Lerchenauer See, begrüßt die Forderung: „Die Aufklärungsarbeit, vor allem zu den Themen Hygiene, Ernährung und Infektionen, kann nicht von den Lehrern alleine übernommen werden“, sagt er.
In Zusammenarbeit mit dem Referat für Gesundheit und Umwelt will der Stadtrat eine Lösung finden, um den Bedarf an Gesundheitsvorsorge an Münchens Schulen zu decken. Vor allem an den Hauptschulen komme man nicht daran vorbei: „Wir merken, dass die Kinder seit rund 15 Jahren stärker an Kopfschmerzen und anderen Stress-Symptomen leiden als früher“, sagt Rektor Hauck.
Dem Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen zufolge durchleben zehn Prozent aller heutigen Schüler Stress-Phasen, die schließlich zu Depressionen führen. Diese Fälle sind dokumentiert, man vermutet jedoch, dass über 50 Prozent diese Leiden teilen.
Die Gründe, warum Symptome nicht vernünftig und von Anfang an bekämpft werden, finden sich unter anderem im sozialen Umfeld der Schüler, wie Heidi Mayrhofer vom Referat für Gesundheit und Umwelt überzeugt ist: „Aufgrund sozialer Schichtzugehörigkeit, Armut und Bildungschancen überwiegt vor allem an Hauptschulen der Anteil der gesundheitlich benachteiligten Kinder und Jugendlichen – mit und ohne Migrationshintergrund.“ Warum aber unternimmt die Stadt nicht längst etwas dagegen?
„Eine regelmäßige verbindliche Untersuchung würde kritische Stimmen nach sich ziehen“, vermutet Hauck. „Eltern wollen den Arzt ihrer Kinder bestimmen, sie wollen ein Vertrauensverhältnis zu ihm haben. Viele fürchten eine Einschränkung in ihrem Selbstbestimmungsrecht.“ Stadträtin Schmucker will die Herausforderung dennoch annehmen und „die Jugendlichen rechtzeitig mit Hilfsangeboten erreichen – und zwar in der Schule als zentralem Ort ihrer Lebenswelt.“
Mit freiwilligen Sprechstunden allerdings dürfte es kaum getan sein: Viele Kinder werden gar nicht erst zum Arzt geschickt, weil die Eltern Angst vor Kosten haben. Und oft sehen weniger betuchte Familien keine Notwendigkeit, teure Arzneimittel zu kaufen, wenn diese nicht von den Krankenkassen finanziert werden.
Wie dem auch sei, das Referat für Gesundheit und Umwelt hat drei Bausteine benannt, die bei einer vernünftigen Umsetzung des Schularzt-Konzepts notwendig sind: Freiwillige Sprechstunden bei einer Schulärztin, die einmal pro Woche in Anspruch genommen werden können; ein Gesundheitsunterricht, in dem innerhalb der Klasse Antworten auf gesundheitliche Fragen gefunden werden – und ferner diverse „Gesundheitsaktionen“ wie Hör- und Sehtests, Impfbuchkontrollen oder sogar Impfangebote. Mit einem solchen System wäre laut Mayrhofer ein wichtiger Schritt in Richtung Prävention getan.
8,5 Vollzeitstellen für Kinder- und Jugendärzte bräuchte man, um den derzeit 12.059 Münchner Hauptschülern sinnvolle Vorsorgeuntersuchungen bieten zu können, so die Gesundheitsreferats-Sprecherin. Eine Hauptaufgabe der Ärzte sollte sein, körperliche Mangelerscheinungen rechtzeitig zu erkennen – und entsprechend zu behandeln. Die Untersuchungen übrigens sollen dann nicht mehr vor versammelter aufgereihter Klassengemeinschaft stattfinden: Diese Zeiten sind vorbei. Von Sebastian Bolenius
Artikel vom 30.04.2008Auf Facebook teilen / empfehlen Whatsapp
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