Geschichtsprojekt jetzt in Buchform: Schicksale im Stadtviertel 1933 bis 1945

Im Keller von Schwabing

Herausgeberin Ilse Macek (l.) überreicht Blumen an den Überlebenden Werner Grube. Unter den Gästen der Buchpräsentation: OB Ude und Ch. Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde. Foto: ms

Herausgeberin Ilse Macek (l.) überreicht Blumen an den Überlebenden Werner Grube. Unter den Gästen der Buchpräsentation: OB Ude und Ch. Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde. Foto: ms

Schwabing · Manchmal muss man in den Keller hinabsteigen, und was man dort findet, ist nicht immer angenehm. Den Weg in den Untergrund ihres Viertels haben 21 Schwabinger auf sich genommen: für das »Erinnerungsprojekt Schwabing«.

Ilse Macek von der Münchner Volkshochschule hatte für die Geschichtswerkstatt »Erinnerungsort Schwabing« 21 Autoren, Fachleute und Bürger zusammengebracht, die in zwei Jahren Recherche Wissenswertes, Erschreckendes und Überraschendes über Schwabing zwischen 1933 und 1945 herausgefunden haben.

Einiges, was bislang in den Kellern der Geschichte geschlummert hatte, ist dabei ans Licht der Öffentlichkeit gerückt umd liegt jetzt auf stattlichen 640 Seiten in Buchform vor: Vergangenen Donnerstag, 13. März, wurde »ausgegrenzt – entrechtet – deportiert. Schwabing und Schwabinger Schicksale 1933 bis 1945« (herausgegeben von Ilse Macek, 24,50 Euro, Volk Verlag) in der Seidlvilla vorgestellt.

Die Arbeit der Stadtviertelforscher wirft dunkle Schatten auf das ungebrochen positive Bild vom Viertel. »Über Schwabing in der NS-Zeit zu lesen«, sagt Macek, »zerstört den Mythos, der sich um diesen berühmtesten Stadtteil Münchens rankt, ändert das Bild, das viele von Schwabing haben.« Etwa die Tatsache, dass die meist akademisch geprägten Bildungsbürger des Literaten- und Künstlerviertels 1933 zu den fleißigsten Wählern der NSDAP in München gehörten.

Zahlreiche authentische Zeitzeugenberichte, Biografien und meist private Bilder dokumentieren das Leben und Leiden von ehemaligen Bürgern Schwabings, die in der Zeit von 1933 bis 1945 verfolgt und getötet wurden: Juden, Zeugen Jehovas, Kommunisten, Sozialdemokraten, Homosexuelle, psychisch Kranke.

Sechzehn Kapitel erhellen Teilbereiche der NS-Zeit: Etwa Schwabing als Klinikviertel und die Rolle des Kaiser-Wilhelm-Instituts, heute Max-Planck-Institut für Psychiatrie; die Schicksale der Kinder im jüdischen Kinderheim an der Antonienstraße und den Hunderten von Münchner Juden mit Schwabinger Zwangsadresse, die stets deportationsfertig in den »Judenhäusern« in der Bauerstraße und Jakob-Klar-Straße zusammengepfercht wurden; oder die Schulen im Stadtteil zur NS-Zeit.

Um deren Situation und die Schicksale jüdischer Schüler und Lehrer zu rekonstruieren, verbrachten fünf Schülerinnen des Oskar-von-Miller-Gymnasiums über die zwei Jahre tatsächlich viel Zeit im staubreichen und lichtarmen Archiv im Keller ihrer Schule – im Rahmen ihres Wahlfaches »Erinnerungsprojekt Schwabing« unter der Leitung von Lehrerin Sabine Behrendt. »Keiner konnte abschätzen, wieviel Arbeit wirklich dahintersteckt – und das nebenher zum Abiturstress«, lobt Behrendt das starke Engagement von Christina Rausch, Verena Schneeweiß, Stella Schlösser und Andrea Weber, mittlerweile Studentinnen, und Franziska Eck, die dieses Jahr Abitur macht.

Im Schnitt zwei bis drei Stunden, schätzt Behrendt, haben ihre Schülerinnen in Freistunden und in ihrer Freizeit mit dem aufwändigen Projekt verbracht. Um die teilweise handgeschriebenen Akten überhaupt lesen zu können, mussten zuhause mit viel Mühe die in »Sütterlin-Schrift« geschriebenen Texte »übersetzt« werden. Dabei wurden die Schülerinnen von Werner Grube unterstützt, den sie wie die anderen Projektteilnehmer bei den vierzehntägigen Treffen in der Seidlvilla trafen.

Der heute 78-Jährige ist ebenfalls Mitarbeiter im Geschichtsprojekt und zugleich Zeitzeuge und selbst Thema eines Kapitels in dem Buch – als einer der wenigen Überlebenden des Antonienkinderheims. Grube hatte mit seinem ebenfalls überlebenden Bruder Ernst in dem jüdischen Kinderheim gewohnt. Dort hatten etwa jüdische Familien zeitweilig ihre Kinder untergebracht, um die Auswanderung vorzubereiten und die Kinder dann nachzuholen. Doch sie hatten nicht mit der grausamen Entschlossenheit des NS-Regimes gerechnet.

Am 13. März 1943 wurden so die letzten Kinder des Heims in den Tod geschickt. Fünf nach Theresienstadt deportierte Heimkinder, ist in dem Buch zu lesen, darunter Werner Grube, sein Bruder und seine Schwester, haben überlebt, »weil sie aufgrund ihres Status als »Halbjuden« so spät deportiert wurden und am 8. Mai 1945 von der Roten Armee befreit wurden.« Über Grube bekamen die Mädchen sogar Kontakt zum heute in den USA lebenden Bruder des im KZ Kaunas ermordeten Oskar-Schülers Günther Koppel.

»Das war richtig spürbar«, erzählt Sabine Behrendt, »wie getröstet die betagten, teilweise kranken Zeitzeugen durch das Interesse der Schülerinnen waren, die sich trotz Abi-Stress so für die Sache engagiert haben.« Man habe gemerkt, wie froh die Überlebenden waren, zu erleben, dass die Erinnerungen mit den Zeitzeugen nicht aussterben »und es auch in der jungen Generation Leute gibt, die das nicht vergessen.« Michaela Schmid

Artikel vom 18.03.2008
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