Albrecht Ackerland über Parasiten

München - „Da schau her“

Dieser so wichtigen Kindheitserfahrung wurde ich beraubt. Ich hatte niemals Läuse. Rückblickend ist das wirklich schade. Das bedeutet nicht nur, dass ich einen Grund weniger hatte, um für ein paar Tage nicht zur Schule zu müssen. Mir ist wesentlich mehr entgangen: Nie hatte ich dieses sagenhaft sensationelle Kopfjucken. Die lustigen Spielgefährten blieben mir verwehrt, nie durfte ich ihr leise gepiepstes „Morituri te salutant“, übersetzt hören, bevor die Mutter mit dem Läuseshampoo angerückt kam, winkend wie ein römischer Kaiser im Kolosseum, von den einziehenden Gladiatoren mit dem Spruch begrüßt: Die Todgeweihten grüßen dich!

Warum ich niemals Läuse hatte? Sie kamen einfach nicht. Die Laus, dieses Miststück, hat mich ihrer selbst beraubt. Als Kind empfand ich das als Beleidigung. „Was hat er, was ich nicht habe“, dachte ich mir, wenn wieder mal ein Kindergartenfreund zu Hause bleiben durfte und aus parasitären Gründen gehegt und gepflegt wurde. „Ist mein Blut zu sauer?“, fragte ich mich, und aß heimlich löffelweise Zucker. Die Laus lockte das zwar nicht – aber immerhin besuchten mich bald andere Parasiten: Karius und Baktus. Irgendwann habe ich den Kampf um die Laus aufgegeben. Ein paar Jahre später, ich hatte die Laus längst vergessen, besuchten andere kleine Freunde meinen Körper. Es war während eines schönen Strandurlaubs, als ich merkwürdige, kleine, rote Pünktchen auf der Haut entdeckte. Der Floh war da.

Ich grüßte ihn herzlich und freute mich noch mehr, als er wieder verschwand. Genau das ist auch der entscheidende Vorteil eines Flohbefalls: Die Herrschaften gehen wieder, wenn sie satt sind und brauchen ihren Wirtsmenschen nicht unbedingt ständig, um zu überleben. Ganz anders die Kopflaus: Sie wohnt dauerhaft auf dem Kopf und muss dort bleiben. Die Laus ist darauf angewiesen, dass immer irgendwer Läuse hat. Ein richtiger Kopfmensch, so eine Laus.

Wenn an Münchner Kindergärten und Schulen eine Läuseplage herrscht, dann ist das sicher kein Spaß. Außer vielleicht für das ein oder andere Kind – aber, das weiß ich ja eben nicht aus eigener Erfahrung. Ich kann lediglich den Rat meiner alten Latein-Nachhilfelehrerin weitergeben, für dessen Entschlüsselung ich sehr lange gebraucht habe. Latein-Kenntnisse jedenfalls brauchen Sie keine: Venalaus amoris – pax, drux ungoris!

Artikel vom 06.03.2008
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