Beschwerdestelle kontrolliert seit zehn Jahren Altenheime

München - Die Pflege-Detektive

Vorsicht: Rücksicht! Wenn Missstände in der Altenpflege auffallen, sollte man sich an die städtische Beschwerdestelle wenden. 	Foto: Archiv

Vorsicht: Rücksicht! Wenn Missstände in der Altenpflege auffallen, sollte man sich an die städtische Beschwerdestelle wenden. Foto: Archiv

Manchmal fliegen Missstände in Altenheimen erst auf, wenn es zu spät ist. Wenn die Bewohner bereits wundgelegen oder ausgetrocknet sind. Denn in deutschen Altenheimen ist oft nicht einmal die sogenannte „Satt-und-sauber“-Pflege gewährleistet – obwohl menschenwürdige Pflege natürlich gesetzlich verankert ist. Und auch die Pflege der 11.000 Münchner, die in Altenheimen leben, lässt weiter zu wünschen übrig. So lautet das Fazit, das die städtische Heimaufsicht jetzt gezogen hat.

Seit genau zehn Jahren schickt die Beschwerdestelle für Probleme in der Altenpflege Kontrolleure in die Seniorenheime, um die Pflege zu überwachen und zu verbessern.

Gründe für eine solch starke Kontrolle gibt es leider genügend in München: 2005 etwa musste eine Seniorin, nennen wir sie Annika Gruber, qualvoll im Pflegeheim sterben. Sie war mit einem Bauchgurt ans Bett gebunden – eine in Pflegeheimen übliche Maßnahme, um verwirrte oder aggressive Menschen am Davonlaufen zu hindern. Frau Gruber wehrte sich gegen die Fesseln, wollte sich befreien. Also schlüpfte sie mit den Armen unter den Gurt und schob ihn nach oben, mit den Beinen wiederum versuchte sie den Fußboden zu erreichen. Sie rutschte aus dem Bett. Der Gurt blieb am Hals hängen – und strangulierte sie.

Es war ein vermeidbarer Tod: ein simples Bettgitter hätte verhindert, dass die Rentnerin aus dem Bett fällt. Ist ihr Fall ein tragisches Einzelschicksal? Leider nein: Einer Untersuchung des Münchner Instituts für Rechtsmedizin zufolge strangulierten sich allein im Jahr 2005 sechs Münchner Senioren mit einem Fixiergurt. Auch Meldungen über halb verdurstete Heimbewohner, offene Wunden und Pflegekräfte, die keine Zeit haben, um alte Menschen zur Toilette zu bringen, geraten regelmäßig in die Schlagzeilen.

Um Missstände frühzeitig aufzudecken oder zu verhindern, wurde vor zehn Jahren eine Beschwerdestelle für Probleme in der Altenpflege gegründet. Unmittelbar Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) unterstellt, kümmern sich die sieben Mitarbeiter jährlich intensiv um rund 200 Einzelfälle und beraten rund 1.500 Menschen am Telefon. Knapp die Hälfte der Beschwerden betreffen die Zustände in Münchner Heimen, jede sechste Beschwerde dreht sich um die Arbeit der rund 200 ambulanten Pflegedienste.

Eine Arbeit, die auch die Stadtrats-Fraktionen wertschätzen. Millionensummen hat die Stadtpolitik meist einmütig bereitgestellt, wenn die Beschwerdestelle wieder auf Missstände hinwies. So konnten unter anderem Fachstellen für Angehörigenarbeit bei den Verbänden der freien Wohlfahrtspflege geschaffen, Wohnraumberatungen für ältere Menschen angeboten und Modelle von betreutem Wohnen zu Hause realisiert werden. Die Ratgeber der Stelle werden von Familien und Senioren stark nachgefragt. „Wie erkenne ich die Qualität von ambulanten Pflegediensten und Alten- und Pflegeheimen“ ist mittlerweile beinahe zu einem Standardwerk geworden. Und die neueste Broschüre „Mit Sicherheit nicht alt aussehen“ erklärt, wie Menschen trotz Pflegebedürftigkeit ein sicheres Leben zu Hause führen können. (Kostenlos erhältlich in Alten- und Servicezentren sowie in Sozialbürgerhäusern).

Zusätzlich übrigens nimmt sich die städtische Heimaufsicht des Kreisverwaltungsreferats (KVR) der Verbesserung der Situation von Altenheim-Bewohnern an. Ihre Kontrolleure hatten 2005 und 2006 jede der 128 Münchner Einrichtungen im Schnitt zweimal im Jahr besucht. Dabei fanden sie 96 Bewohner, die durch mangelnde Pflege geschädigt waren oder in Gefahr waren, Schäden zu erleiden. In 2.732 weniger schwerwiegenden Fällen kritisierten die Aufseher nachlässige – aber immerhin nicht gesundheitsgefährdende – Versorgung und Pflege.

„Die Zeit der massiven und vielfältigen Skandale in der Münchner Pflegeszene scheint vorbei zu sein“, meint KVR-Chef Wilfried Blume-Beyerle, „dennoch kann noch lange nicht von einer Entwarnung gesprochen werden.“ Im Gegenteil: Der Kostendruck im ganzen Pflegesystem sei hoch, die Arbeitsbelastung für die Mitarbeiter werde nicht weniger. Kurzum: Die Pflege sei in einem „relativ labilen Zustand“, so Blume-Beyerle.

Und auch die Kontrollen waren ungenügend – vor zehn Jahren handelte die Stadt daher und richtete mit der „Beschwerdestelle“ eine zweite Kontrollinstanz ein, die vor allem den direkten Kontakt mit den Heimbewohnern sucht. OB Ude kann sich noch gut an die Vorbehalte in der Branche erinnern. Die Heime und Pflegeeinrichtungen hätten „einen zusätzlichen Ankläger“ befürchtet, erinnerte sich Ude beim zehnjährigen Jubiläum der Einrichtung vor wenigen Tagen. „Die Bedenken sind inzwischen der Einsicht gewichen, dass Missstände nicht übertüncht werden können, sondern zur Sprache gebracht und abgestellt werden müssen.“ Schon allein dieser geänderte Umgang mit Kritik sei ein beträchtlicher Erfolg der Beschwerdestelle, so Ude.

Auch in Zukunft gehen der Einrichtung die Herausforderungen nicht aus – vor allem im Bereich der ambulanten Pflege gibt es jede Menge Handlungsbedarf. „Hier liegt ein weiteres riesiges Themenfeld vor uns“, so Ude. Denn im privaten Bereich mit verstreuten Wohnungen und unregelmäßigen Pflegezeiten sei die Kontrolle viel schwieriger. Dabei werde die ambulante Pflege in Zukunft immer wichtiger, weil jeder möglichst lange in seiner Wohnung bleiben möchte. Von Nadine Nöhmaier

Städtische Beschwerdestelle für Probleme in der Altenpflege,

Rathaus, Marienplatz 8, 2. Stock, Zi.-Nr. 283, 80331 München

Telefon: (089) 23396966 Fax: (089) 23321973 Sprechstunden: Montag, 9 bis 12 Uhr Mittwoch, 15 bis 19 Uhr staedtische_beschwerdestelle.altenpflege@muenchen.de

Heimaufsicht der Landeshauptstadt München, Kreisverwaltungsreferat Ruppertstraße 11, 80313 München Telefon: (089) 23344656 heimaufsicht.kvr@muenchen.de

Artikel vom 15.11.2007
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