Von Neujahr bis Silvester: München lebt im Takt der Wiesn

Oktoberfest 2007 · Vom Granteln und Gschafteln

Karussell und Touristen: Den einen Münchner störts, den anderen freuts. Und alle treffen sie sich dann doch auf der Wiesn. Fotos: Archiv

Karussell und Touristen: Den einen Münchner störts, den anderen freuts. Und alle treffen sie sich dann doch auf der Wiesn. Fotos: Archiv

München · Auf der ganzen Welt hat das Jahr 365 Tage. Meistens. Nur in München ist alles anders. Das Münchner Jahr hat 381 Tage – oder nur 349. Je nach Sichtweise. Denn in der schönsten aller Städte ist für mehr als zwei Wochen alles anders. Die Münchner richten gemeinhin ihr Jahr nach diesen so besonders bedeutenden 16 Tagen, an denen das Oktoberfest stattfindet. Die einen zählen jeden Tag doppelt. Die anderen würden am liebsten die ganze Wiesnzeit aus ihrem Jahr löschen.

Die Gründe dafür sind vielfältig. Zuvorderst sei es der plagende Dauerkater bei ihnen selbst oder bei ungefähr allen anderen erwähnt, mit denen man im Alltag zu tun hat. Wenn die letzte Maß Bier runtergespült ist, wenn im Hackerzelt die Wunderkerzen brennen und sich alle in den Armen liegen, dann wissen wir: In 50 Wochen ist Anstich. So taktet sich das Münchner Jahr.

Wenn Wiesn ist, geht’s in der Stadt um nichts anderes. Wenn die Wiesn vorbei ist, fällt die ganze Stadt in einen depressiven Kater, jeder ist ausgelaugt, der Herbst ist gekommen, und dann ist eh schon bald Weihnachten, dann Fasching, dann Frühling. Der Sommer, der dann folgt, ist in der Stadt eigentlich nur dazu da, den Münchnern einen Grund zu geben, ihre Sonnenbrillen zu tragen – und die Zeit bis zur Wiesn zu überbrücken.

Schon im Juli wird aufgebaut auf der Theresienwiese, und nicht wenige verfolgen aufmerksam die Fortschritte. Hunderte Baukontrolleure, quasi. Wenn dann alle aus dem Urlaub zurück sind, steht die Wiesn fast fertig da, und von Metzgerei bis Modeboutique ist nahezu jedes Schaufenster in München auf das Fest getrimmt. Das nimmt dann mitunter lustige Formen an: Heuer etwa steht in einer Metzgerei in der Schellingstraße eine Schaufensterpuppe in Tracht. Dafür liegen in der Auslage eines Bekleidungsgeschäfts in der Amalienstraße meterweise Würstel – zum Glück nicht aus Gammelfleisch, sondern aus hygienischem Plastik. In der Woche vorm Anzapfen dreht die Stadt dann durch. Zum festen Gesprächs-Repertoire in diesen Tagen gehört: »Hast du Biermarken?«, »Wann geht’s ihr mit der Firma hin?«, »Mei, mir geht die Wiesn jetzt schon auf die Nerven!«, »Ich muss mich schonen!«, »Ich muss trainieren, trinken wir noch eine Halbe?«

Die Münchner lieben ihre Wiesn und hassen sie, was sehr gut zusammengeht. Es ist keineswegs schizophren, sondern sehr münchnerisch, wenn einer furchtbar schimpft, »wie’s zugeht, und überall sind die Besoffenen, nein, der ganze Zirkus, was die nur alle finden an dem blöden Oktoberfest? So, und jetzt muss ich los, ich bin um halb acht im Augustinerzelt verabredet.«

Das geht zwei Wochen so, nirgends kann der Münchner so herrlich granteln wie auf der Wiesn. Nirgends sonst kann er so hemmungslos viel trinken – ist ja Brauchtum und damit Kultur. Nirgends sonst singt der beflissene Theaterkritiker so herzhaft »Griechischer Wein«, um anschließend mit bayerischem Bier zu prosten. Nirgends sonst finden sich angeblich so viele Paare. Nirgends sonst sind sich alle irgendwie einig. Albrecht Ackerland

Artikel vom 20.09.2007
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