In Bogenhausen kifft jeder dritte Neuntklässler

München ist Kiffer-Hochburg

Sieht harmlos aus, macht aber schwindlig: nicht nur die Blüten, auch die Blätter der Hanfpflanze enthalten Spuren des Rauschmittels THC.	 Foto: Archiv

Sieht harmlos aus, macht aber schwindlig: nicht nur die Blüten, auch die Blätter der Hanfpflanze enthalten Spuren des Rauschmittels THC. Foto: Archiv

München ist Deutschlands Hauptstadt für junge Haschisch-Raucher, wie eine Studie des sächsisch-bayerischen Suchtforschungsverbands „Asat“ belegt. Jeder zweite Münchner zwischen 16 und 24 Jahren hat mindestens einmal im Leben Cannabis konsumiert, bundesweit nur jeder dritte.

„Früher wussten Schüler oft nicht, wo sie etwas zum Rauchen herbekommen“, kommentiert die Psychologin Karin Wiggenhauser von der Suchtberatungsstelle Condrobs in München. „Das scheint heute kein Problem mehr zu sein.“ Besonders besorgt sind Suchtexperten, weil Jugendliche immer früher mit dem Kiffen beginnen. Zugleich hat sich der Wirkstoffgehalt in den letzten Jahren verdoppelt – aus dem Partygenuss wird oft ein fataler Problemlöser.

Überraschend ist, dass nicht in den vermeintlichen Scherbenvierteln am meisten gequalmt wird – vielmehr sind im reichen Bogenhausen die meisten jungen Kiffer zu Hause. Wie eine Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen belegt, konsumieren rund 35 Prozent der dortigen Neuntklässler Haschisch. Expertin Wiggenhauser wundert das nicht: „Cannabis ist eine Gymnasiasten-Droge.“

Die Karriere eines Haschisch-Kinds verläuft dabei meist nach dem gleichen Schema: mit zwölf die erste Zigarette, mit 13 kommt Alkohol dazu, mit 14 oder 15 macht der erste Joint die Runde. Tragisch hierbei: Je früher mit Alkohol und Drogen angefangen wird, desto größer sind Wiggenhauser zufolge gesundheitliche Risiken: „Die Jugendlichen sind in diesem Alter körperlich nicht voll entwickelt, Giftstoffe schaden ihnen ungemein.“ Überhaupt erhöht der Haschischkonsum das Risiko für psychische Krankheiten im späteren Leben um bis zu 41 Prozent, wie eine Forschergruppe der Universität Cardiff herausgefunden hat: Cannabis steigere vor allem das Risiko, eine Psychose zu bekommen.

Psychologin Wiggenhauser vom Beratungszentrum „Condrobs“ macht Elternhaus und Schule für den frühen Griff zur Droge verantwortlich: „Gerade in München müssen oft beide Elternteile arbeiten, um die Familie zu ernähren. Ihre Kinder sind meist materiell versorgt, müssen aber den Alltag alleine bewältigen und verwahrlosen emotional“, sagt sie. Dazu komme, dass in München viele Menschen leben, die viel Geld haben – und das auch zeigen: „Da wollen alle anderen mithalten. Daher ist es für viele Münchner Familien ein schwerer Schicksalsschlag, wenn ihr Kind nicht aufs Gymnasium übertreten kann.“

Alles werde daher versucht, um die Kinder doch durch die höhere Schule zu schleifen. „Manche Schüler aber halten diesem Druck nicht stand. Am Wochenende wollen sie dann nur noch dicht sein. Sie greifen also zum Joint oder verabreden sich zum sogenannten Koma-Saufen.“

Darüber hinaus würden Eltern zunehmend unsicherer in einer Welt, in der alles möglich scheint: „Sie sehen, dass sich das Tor in die Erwachsenenwelt immer früher für Jugendliche öffnet“, erklärt Wiggenhauser. So gebe es Disco-Veranstaltungen für 14-Jährige und eine Diskussion um ein Wahlrecht mit 16. „Unter diesen Umständen wissen Eltern oft nicht, wie sie reagieren sollen, wenn ihre Kinder aus der Schule kommen und berichten, dass jeder in ihrer Klasse kifft.“

Wiggenhäuser rät, sich bei solchen Unsicherheiten an eine „Condrobs“-Beratungsstelle zu wenden. Je nach Fall beruhigen die Experten die Eltern oder unterstützen sie ganz praktisch – und kostenlos. So besteht die Möglichkeit, dass ein Sozialarbeiter nach Hause kommt und mit dem Jugendlichen und den Eltern das Drogenproblem bespricht. Und weil Kiffer-Kids auch mal herumzicken, schulen die Berater die Eltern darin, den Nachwuchs aus dem Bett zu holen und in die Schule zu schicken.

Natürlich können sich auch Jugendliche mit Drogenproblemen selbst an Condrobs wenden – die Berater unterliegen der gesetzlichen Schweigepflicht. Wer auf Nummer sicher gehen will, kann die anonymisierte Online-Beratung auf www.condrobs.de in Anspruch nehmen.

Was Wiggenhauser übrigens noch mehr Sorgen macht als Haschischrauchen, ist der derzeitige Trend zum Koma-Saufen: „Das ist in den vergangenen ein, zwei Jahren unter den Münchner Jugendlichen schreckliche Mode geworden“, sagt sie. „Sie treffen sich, trinken zwei, drei Bier – um schließlich auf eine sogenannte Flatrate-Party zu gehen und sich bis zur Bewusstlosigkeit zu saufen.“

Übrigens ist Alkohol ebenfalls bevorzugt ein Bogenhausener Problem, wie die Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen belegt: hier trinken Neuntklässler mehr Bier, Wein, Schnaps und Whiskey als sonstwo in der Stadt. Nadine Nöhmaier

Artikel vom 23.08.2007
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