Münchens Flora und Fauna im Schwitzkasten

München - Prima Klima, oder was?

Der milde Winter ließ viele Igel zu früh aus dem Winterschlaf erwachen. Foto: Archiv

Der milde Winter ließ viele Igel zu früh aus dem Winterschlaf erwachen. Foto: Archiv

München - Vor 40 Jahren hat der Meteorologe Edward Lorenz den berühmten „Butterfly Effect“ formuliert: Ein Flügelschlag eines Schmetterlings vermag demnach einen Orkan am anderen Ende der Welt verursachen – eine These, die zum zentralen Leitsatz der Chaostheorie geworden ist. Ob es ein Admiralsfalter in München tatsächlich in Asien stürmen lassen kann, wird sich schwer ermitteln lassen. Sicher aber ist, dass seine andauernde Anwesenheit in der Landeshauptstadt für ein mehr als theoretisches Chaos steht: Er ist ein Symbol für das derzeitige Klimachaos.

Die Schmetterlingsart aus dem Mittelmeerraum trat bislang in jedem Herbst den weiten Weg nach Afrika an. Frühestens im Mai flatterte er wieder durch bayerische Gefilde. In diesem Jahr dagegen konnte er erstmals in München überwintern. Und das ist nur ein Beispiel dafür, wie der milde Winter und die steigenden Temperaturen Münchens Flora und Fauna durcheinander wirbeln. Denn unzählige Pflanzen blühen früher als sonst, Vögel kommen eher aus dem Süden zurück oder fliegen erst gar nicht mehr weg. Für andere Tiere hingegen wird München zur unwirtlichen Stadt: Die Effekte der derzeitigen Wetterlage sind komplex und schwer überschaubar. „Man könnte ein ganzes Buch darüber schreiben“, meint Martin Hänsel vom Bund Naturschutz.

So gibt es in diesem Jahr zum Beispiel neue Tier- und Pflanzenarten in der Landeshauptstadt zu bestaunen: Italienische Mauereidechsen, Holzbienen, Akanthus-Disteln – alles Zuzügler, die sich gewöhnlich nur bei tropischen Temperaturen im Mittelmeerraum wohl fühlen. Andere Tierarten wiederum leiden unter dem milden Winter und der andauernden Trockenheit: Den Amphibien fehlen wegen des chronischen Niederschlagmangels die feuchten Plätze, die sie zum Überleben brauchen. Und Igel laufen durch die milden Wintertemperaturen Gefahr, zu früh aus dem Winterschlaf zu erwachen. „Man muss sich das vorstellen wie das Starten eines Motors“, erklärt Hänsel. „Das verbraucht unheimlich viel Energie und bringt den ganzen Körperhaushalt des Igels durcheinander.“ Manche Vögel wiederum leiden darunter, dass ihre Beutetiere früher schlüpfen, ihre Brutzeit aber auf den gewöhnlichen Rhythmus abgestimmt ist: den Jungen fehlt es folglich an Futter.

Die Furcht vieler, der milde Winter könnte im Sommer eine riesige Insektenplage zur Folge haben, muss sich allerdings nicht bewahrheiten. Den Larven von Mücken und Zecken kam der warme Winter zwar einerseits entgegen – andererseits benötigen sie jetzt feuchten Untergrund, um sich zu entwickeln. Bleibt es also trocken, sieht es schlecht für sie aus – allerdings ist auch gut möglich, dass auf die Trockenzeit umso stärkere Regenfälle folgen.

Andere Plagegeister profitieren dagegen vom milden Winter – nicht zum Vorteil der Natur: Bestes Beispiel ist der berüchtigte Borkenkäfer, welcher der Forstverwaltung immer mehr Kopfzerbrechen bereitet. Schon durch die Dauerhitze im vergangenen Jahr hat sich die Käferpopulation großflächig vermehrt und mehr Generationen als üblich hervorgebracht. Durch das milde und trockene Wetter hat ein Großteil seiner Larven den diesmal nicht so kalten Winter überlebt: sie sind sogar zwei Wochen früher als üblich ausgeschwärmt. Dazu kommt, dass die durch die Dürre geschwächten Bäume leichte Beute für die Schädlinge sind: Besonders die Fichten sind angreifbar, weil sie am stärksten mit der Trockenheit kämpfen. Denn jene brauchen zum einen von Natur aus mehr Wasser, zum anderen tun sie sich wegen ihrer flachen Verwurzelung in trockenen Zeiten schwerer, welches aufzunehmen.

Auch andere Bäume leiden unter dem Wetter: Speziell den neu angepflanzten, noch nicht fest verwurzelten Bäumen droht die Austrocknung. Außerdem erhöht die Trockenheit die Waldbrandgefahr: „Es liegt viel trockenes Gras herum, das sich leicht entzündet“, erklärt Wolfgang Metz, stellvertretender Vorsitzender des Münchner Forstamts. Und auch der Boden der Wälder wird auf indirektem Weg durch den milden Winter geschädigt: Denn die Förster erledigen den jährlichen Baumeinschlag am liebsten zur Frostzeit, dann nämlich verkraftet der Boden die vielen schweren Maschinen am besten. „Unter den diesjährigen Bedingungen wurde er stärker durch uns verletzt als sonst“, erklärt Metz. Wenn die warmen Winter anhalten, werde es jedenfalls spürbare Auswirkungen auf die Baumlandschaft geben: „Langfristig wird es dann eine Baumartenverschiebung geben – vor allem zur Buche hin, die mit solchem Wetter besser zurechtkommt.“

Große Veränderungen stehen dann aber nicht nur der Münchner Baumlandschaft, sondern der ganzen Natur bevor: „Ein milder Winter bringt ein bisschen etwas durcheinander, stellt aber nichts auf den Kopf“, erklärt Hänsel: „Bleibt es aber dauerhaft so, wird sich auch die Naturlandschaft dauerhaft verändern – was aber im Einzelnen passieren wird, darüber kann man nur spekulieren.“

Von Martin Hoffmann

Artikel vom 03.05.2007
Auf Facebook teilen / empfehlen Whatsapp

Weiterlesen





Wochenanzeiger München
 
Kleinanzeigen München
 
Zeitungen online lesen
z. B. Samstagsblatt, Münchener Nord-Rundschau, Schwabinger-Seiten, Südost-Kurier, Moosacher Anzeiger, TSV 1860, ...