Albrecht Ackerland über die Kindergartenzeit

München - „Da schau her“

Immerhin Blockflöte. Soviel blieb von meiner Kindergartenzeit, wenngleich ich auch bei höchster Konzentration kein noch so einfaches „Ihr Kinderlein kommet“ mehr hinbekomme. Das liegt zwar auch an mir: Von einem Musiker muss man schließlich erwarten, dass er übt. Nur: Ich bin gar kein Musiker. Ich werde auch keiner mehr. Auch wenn Weihnachten nach dem Wegräumen der Schokohasen schon fast wieder vor der Tür steht.

Auch wenn meine Wiener Tante Josepha bald ihren 85. Geburtstag feiert, was eigentlich Anlass genug wäre für ein kleines Blockflötenständchen. Aber, unter uns: Meine liebe Tante ist schon überglücklich, wenn ich ihr ein Gedicht aufsage, in ihrem Fall den kleinen Klassiker „Ich bin klein, mein Herz ist rein...“.

Dass ich diesen grauenvollen Reim ewig in Erinnerung behalte, liegt an derselben Person, der es auch geschuldet ist, dass ich heute nicht mehr ordentlich blockflöten kann: Schwester Simone. Eine Ordensschwester, deren rückblickend sympathischste Eigenschaft war, dass sie Käse predigte und Wurst aß. Genauer: uns Kindern Käse auftischte. Ich war bei Schwester Simone im Kindergarten.

Das Leben der Simone war karg, sie leistete sich nur wenig Freuden – eigentlich nur exakt fünf, um genau zu sein: Den Bierschinken zur Brotzeit, zu der sich die Kinderlein mit Scheiblettenkäse eher be- als vergnügen mussten. Den schlechten Atem der Mitschwester, die wirklich ernsthaft „Schwester Oberin“ gerufen wurde und kaum mehr atmen konnte; wenn sie es eben aber doch tat, so roch es recht übel. Das erfreute Simone, weil so keiner ihren eigenen, auch nicht gerade rosenduftgleichen Odem ausmachen konnte.

Freilich sei auch keinesfalls Simones Hochzeit mit Jesus zu vergessen, deren anhaltende Freude aber irgendwann übertrumpft wurde: von Rudi Carrell. Nicht, dass der leider mittlerweile verstorbene Entertainer sie heiratete – soviel Humor hatte selbst Carrell nicht. Aber immerhin schenkte er ihr in seiner Show „Lass’ dich überraschen“ einen echten Flug über den Wolken in einem echten Doppeldeckerflugzeug mit, Sie ahnen es: Reinhard Mey. Das Grauen, das Grauen: „Schnell kann es geschehen.“ ...dachte sich nach dem Erlebnis wohl auch Schwester Simone, die schon immer das leidliche Problem besaß, Grauen mit Freude zu verwechseln, und trietzte uns Kinderlein („kommet zuhauf!“) mit noch grässlicheren Blockflötenmelodien.

Sie merken schon: Ich habe meine Kindergartenzeit geliebt, ja, sie prägte mich. So sehr, dass ich frühestens zu meiner eigenen Beerdigung wieder ein Lied auf einer Blockflöte spiele. Spezielle Musikwünsche von Ihnen nehme ich gerne entgegen.

Artikel vom 12.04.2007
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