„Da schau her“

Die Lust an der Wiesn vergeht mir immer mehr. Das liegt nicht etwa am Bierpreis, obwohl der schon wieder höher ist: mit Trinkgeld kostet die Maß 8 Euro, hat man eine fesche Bedienung erwischt, gerne auch 9 Euro. Ist die Bedienung wirklich aus München und obendrein noch fähig, muss man schon fast einen Zehner zahlen – vom Aussterben Bedrohtes braucht Unterstützung.

Zum Glück aber gibt es dann doch Nachwuchs: seit drei, vier Jahren bedienen zwei Münchner Sozialpädagoginnen in einer Box im Hacker Zelt. Die Sozialpädagogin merkt man keiner von beiden an, denn die Irmi und die Bernadette sind die coolsten Bedienungen der Wiesn. Einen Nietengürtel zum Dirndl, das schafft sonst keine.

Damit zum Thema: ein Punkrock-Accessoire zur Tracht schau ich mir gern an, eigentlich ist das sogar eine konsequente Weiterentwicklung der Tracht. Aber diese möchtegerne Fantasie-Bayern-Mode, diese modischen Unfälle und stoffgewordenen Brechmittel, die die Wiesn mehr und mehr überziehen, die nerven gewaltig. Jedes „Nüchtern bin ich so schüchtern“-T-Shirt ist mir da lieber.

Das schlimmste Erlebnis hatte ich vergangene Woche: Eine Filmproduktionsfirma lud ins Schützenzelt, und weil eine Bekannte von mir für diese Firma schauspielert, bin ich da auch hin. Es war genau ein einziger anderer einigermaßen echter Münchner da – er trug wie ich: keine Tracht, kein Halstuch, kein leinenes Hemd, das so geschnitten ist, dass es nach Baby-Leiberl ausschaut. Der Schauspieler Max von Thun war auch noch da, er trug Jeans zur Baskenmütze. Meinen Segen hat er. Ansonsten: versammmelte Edelprolls in völlig überteuerten Fantasie-Trachten ausgestattet, im Set in einem Laden aufgeschwatzt. Der totale Herdentrieb. Karneval ist anderswann.

Nach einer Maß musste ich mich verabschieden. Das war alles zuviel für mich. Und tatsächlich: Meine eher vorurteilsbehaftete, eher nicht ganz so gute Meinung über diese Klientel wurde gekrönt mit einer Verabschiedung von einem Bielefelder: „Füati!“

Artikel vom 21.09.2006
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