Drogensüchtige Jugendliche finden bei »Inizio« zurück ins Leben

Oberföhring · »Jeder Tag ist ein Kampf«

Im idyllischen Oberföhring liegt das Inizio-Haus. Hier können rund 20 Jugendliche mit Suchtgefährdung und psychosozialen Schwierigkeiten wieder zurück in ein drogenfreies Leben finden. Foto: ak

Im idyllischen Oberföhring liegt das Inizio-Haus. Hier können rund 20 Jugendliche mit Suchtgefährdung und psychosozialen Schwierigkeiten wieder zurück in ein drogenfreies Leben finden. Foto: ak

Oberföhring · Dorfidylle pur: Die Kirchturmglocken läuten, lautes Lachen und Geplapper tönt vom nahegelegenen Kindergarten herüber und in der Ferne hört man sogar die Isar rauschen. Doch der schöne Schein trügt. In der Muspillistraße 19 ist nicht alles eitel-sonnenschein.

»Jeder Tag ist ein Kampf«, berichtet Stefan, 19 Jahre. Er lebt seit knapp sechs Monaten in der therapeutischen Wohngemeinschaft für Jugendliche mit Suchtgefährdung und psychosozialen Schwierigkeiten – »Inizio« genannt. Die meisten Jugendlichen bei »Inizio« haben wie Stefan einschlägige Drogenerfahrung.

»Der Weg in die betreute Wohngemeinschaft ist für die meisten schon ein großer Erfolg«, erzählt Pädagoge Wolfgang Grobe, »doch die Arbeit fängt dann eigentlich erst an.«

Die allmorgendliche »Befindlichkeitsrunde« ist Teil eines umfassenden Betreuungs- und Therapiekonzepts, das den Jugendlichen ein suchtfreies Leben ermöglichen soll. »Dazu gehört eben auch, die eigenen Gefühle ausdrücken und einschätzen zu lernen«, erzählt Grobe. Da die meisten Jugendlichen nicht erfahren haben, dass sich überhaupt jemand für ihre Befindlichkeit interessiert, falle es den meisten anfangs sehr schwer, über ihre Gefühle zu reden. »Aber mit der Zeit gewöhnt man sich daran«, so Stefan.

Danach geht’s für die meisten mit den hausinternen Arbeitsgruppen weiter. Sei es in der eigenen Schreinerei oder im riesigen Garten, es gibt immer etwas zu tun. »Dadurch wird der Tag strukturiert, diese Regelmäßigkeit ist sehr wichtig«, so Grobe. Andere Jugendliche haben bereits einen Ausbildungsplatz gefunden oder gehen wieder zur Schule, an den regelmäßigen Gruppentherapiestunden – »Stockwerksgruppe«, »Männergruppe« oder »Plenum« genannt – müssen sie dennoch verpflichtend teilnehmen.

»Die Regeln hier sind streng, aber fair«, meint Stefan. »Man weiß genau, was passiert, wenn man Mist baut. Gleichzeitig hat man aber auch immer die Möglichkeit, das Ganze wieder gut zu machen – sei es mit Arbeitsdienst oder Putzdienst.« Auch Pädagoge Grobe ist von dem »Inizio«-Modell überzeugt – schließlich schaffen über die Hälfte aller in der Muspillistraße therapierten Jugendlichen »clean« zu bleiben. »Die Jugendlichen haben rund 18 Monate Zeit, ihren Weg zurück in ein normales Leben zu finden. Und dazu gehört nunmal auch die Einhaltung von gewissen Regeln. Nur so kann eine Gesellschaft funktionieren. Das müssen die Jugendlichen hier lernen.«

Nach dem Motto »Zuckerbrot und Peitsche« hat jeder Jugendliche die Möglichkeit sich Stück für Stück mehr Freiheiten zu verdienen. »Wir arbeiten hier mit einem Phasenmodell«, so Grobe. »Anfangs dürfen die Jugendlichen das Haus nicht verlassen. Haben sie nach ein paar Wochen gezeigt, dass sie motiviert sind, drogenfrei zu leben, können sie einen Antrag auf die nächst höhere Phase stellen.« Stefan ist bereits in Phase 1B. Das heißt er darf das Haus in seiner Freizeit alleine verlassen. Das bedeutet große persönliche Freiheit, aber gleichzeitig auch eine enorme Versuchung. »Freitagabend ist am härtesten. Früher habe ich mich da erstmal zugedröhnt und nur noch Party gemacht.«

Auch heute geht Stefan noch gerne in Discotheken. Aber er meidet nun die einschlägigen Lokale – »einfach zu gefährlich«. Und um 1 Uhr ist sowieso Zapfenstreich. Da muss jeder zurück im Haus sein, egal in welcher Phase er sich befindet.

»Viel Geld zum Weggehen haben wir sowieso nicht«, meint Stefan. 47 Euro pro Woche, plus 25 Euro Essensgeld sind schnell verbraucht. Schließlich müssen die Jugendlichen davon alles bezahlen. »Und oftmals sind sogar noch hohe Schulden vorhanden«, weiß Grobe. Da seien keine großen Sprünge drin.

Dennoch haben die Jugendlichen hier große Pläne: »Ich will ab Herbst wieder zur Schule gehen und mein Fachabitur machen«, sagt der 19-Jährige. »Danach mach’ ich ein Ingenieur-Studium. Als Pipline- oder Flugzeugbauingenieur will ich weg aus Deutschland – hab’ hier einfach zu viele schlechte Erfahrungen gemacht«, meint der 19-Jährige nachdenklich.

Große Pläne für einen äußerst selbstreflektierten und starken jungen Mann, der nach eigenen Angaben bis vor kurzem »noch alles an Drogen genommen hat, außer Heroin«.

Artikel vom 04.07.2006
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