In dieser Serie stellen wir in loser Reihenfolge ungewöhnliche Nachbarn vor

Stadt-Bewohner · Märchentante aus der Maxvorstadt

Pippi in Groß: Katharina Ritter.	Foto: Archiv

Pippi in Groß: Katharina Ritter. Foto: Archiv

Maxvorstadt · Die Kuriositäten lauern überall: Im Garten hinter dem Fliederbusch, im Bild der sinkenden Titanic, bei der Nachbarin im ersten Stock. Katharina Ritter hat die Gabe, hinter jeder Ecke eine Geschichte zu finden. Und diese anschließend mit Hingabe zu erzählen. Die Welt der professionellen Geschichtenerzählerin ist voll von skurrilen Fabelwesen, spagettidürren Menschen und Löchern, die Quadratmeter verschlucken. »Das Schöne am Erzählen ist, dass ich nichts brauche außer mich selber«, sagt Ritter.

Keine Technik, kein Mikrofon. Höchstens ihre Angel, an deren Schnur ein Ohr baumelt, mit dem sie Zuhörer fischt.

»Ich erzähle eigentlich nur eine Geschichte, die passenden Bilder malen sich die Zuhörer selbst aus«, sagt sie. Ein Keller sei vielleicht muffig, dunkel und kalt – wie hoch aber die Decke ist und wo die Türe zum Ausgang liegt, hängt von der Phantasie ihrer Zuhörer ab. »Es ist ihr Keller, ich gebe nur den Rahmen vor«, beschreibt Ritter. Und: »Wenn man wahrhaftig erzählt, springt der Funke schnell über«.

Wenn die Maxvorstädterin auftritt, braucht sie kein Getränk und keine Sitzgelegenheit. Während sie kniet, wirft sie ihre langen schwarzen Zöpfe schwungvoll nach hinten und spricht vom Hasen H oder den menschenfressenden grünen Männchen auf den Gardinenstangen. Sie beugt sich nach vorne, sieht den Zuhörern in die Augen und verrät mit flüsternder Stimme, wie es weitergeht. Dann, ganz plötzlich, setzt sie sich wieder gerade hin, spielt kurz mit einem ihrer Zöpfe und spinnt mit ihrem alemannischen Dialekt die Geschichte weiter.

Das Erzählen lag der gebürtigen Bregenzerwälderin schon immer im Blut. »Aber weil mir als Kind gesagt wurde, dass ich viel zu viel rede, wollte ich Pantomimin werden«, erinnert sie sich. Dass das Geschichten-Erzählen jedoch ihr roter Faden im Leben werden würde, hätte man schon vor Schulbeginn sehen können: Ritter hatte im Vorschulalter einen Auftritt mit Gedichten und Liedern auf einer Hochzeit. »Danach ging ich mit dem Hut herum und habe mir so meine erste Schultasche verdient«, erzählt sie. 30 Jahre allerdings hat es gedauert, bis sie wieder den Weg zur einfachsten und ältesten Form der Unterhaltung gefunden hat. In der Zwischenzeit hatte Ritter als Produktionsleiterin bei einer Filmfirma gearbeitet. »Vor fünf Jahren aber musste ich einfach meinen Job kündigen, ich konnte nicht anders«, so Ritter.

Mittlerweile gilt sie als eine der bekanntesten deutschen Geschichtenerzählerinnen, hat 2005 den 1. Platz beim Golden Delphic Award im Bereich »Storytelling« in Malaysia belegt und auch privat ihren eigenen Weg gefunden: Vormittags schreibt sie in ihrer Wohnung in der Theresienstraße, nachmittags holt sie sich Inspirationen. »München ist meine Heimat und das Haus, in dem ich lebe, birgt noch schrecklich viele Geschichten«. In diesem Sommer will Ritter trotz ihrer vielen Reisen einen lang gehegten Traum umsetzen »und endlich auch mal an der Isar erzählen«. Jennifer Bligh

Artikel vom 24.05.2006
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