Albrecht Ackerland über Atomkraftwerke

»Da schau her«

Als der Regen kam, war mein Neffe Ferdi zwei. Der warme Frühlingsregen, von dem keiner wusste, was er wirklich mitbrachte. Der Ferdi spielte im Sandkasten, und mein Schwager und ich saßen bei einem Weißbier auf der Terrasse. Es begann zu regnen, wir gingen rein, der Ferdi wollte unbedingt draußen bleiben.

Lustig ist das alles nicht. Denn es war der Regen, der sich in Tschernobyl aufgeladen hatte. Lustig ist vielleicht, dass dem Ferdi – heute ist er 22 – immer noch kein gescheiter Bart wächst. Also lustig für uns, insgeheim, denn sagen darf man ihm das nicht, der macht sich eh schon so Sorgen, dass das überhaupt noch was wird mit seiner Gesichts-Männlichkeit. Ob es an dem Tschernobyl-Regen liegt, den der Ferdi da vor zwanzig Jahren abbekam, das glaub ich nicht.

Allerdings glaube ich, dass in den zwanzig Jahren nicht viel passiert ist. Bestimmt: die „westlichen“ Kernkraftwerke sind etwas sicherer als die damalige Baracke in der Ukraine, und vielleicht wird seit Tschernobyl etwas vorsichtiger rumexperimentiert – geschah doch die Kernschmelze damals, weil ein paar wahrscheinlich einigermaßen durchgeknallte Ingenieure irgendwas ausprobieren wollten.

Aber: „sicher“ und Atomkraft, das passt nicht zusammen. Alle Werke überall sofort abschalten also? Am liebsten ja – wenn es denn so einfach wäre. Die alte Weisheit, dass in Deutschland allein für den Standby-Betrieb elektronischer Geräte ein AKW gebraucht wird, diese Weisheit finde ich gruselig. Es liegt wie meist also an uns selbst: Stecker ziehen statt Standby-Taste an der Glotze anlassen.

Und der Ferdi? Er probiert’s schon länger mit einem Elektrorasierer, irgendwo hat er gehört, dass er so die Stoppeln rauslockt. Ich aber empfehle ihm immer wieder den erfrischenden Frühlingsregen, von dem wir zur Zeit ja reichlich haben.

Artikel vom 20.04.2006
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