Zwischen Kritik und Kult: Schüler treffen Stoiber

„I love you“ – trotz Handyverbot

Edmund Stoiber: Wenn er kommt, klicken die Foto-Handys. Foto: Archiv

Edmund Stoiber: Wenn er kommt, klicken die Foto-Handys. Foto: Archiv

Alle Handys in die Höh: Fast jeder der 260 Schüler reckte sein Foto-Mobiltelefon. Gerade noch hatte das bayerische Kabinett ein Einschaltverbot für Handys an Schulen bekräftigt, nun marschiert der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber in den Kuppelsaal der Staatskanzlei.

Die Band des Bamberger Franz-Ludwig-Gymnasiums spielt fast schon klingeltontauglich den Defiliermarsch dazu. Allen Ernstes. Klassen von neun bayerischen Schulen waren vergangenen Dienstag nach München eingeladen, um sich im Rahmen der Reihe „Lernort Staatsregierung“ über die Arbeit der Regierung und Ministerien Bayerns zu informieren. Mit dem Blick hinter die Kulissen der Politik, so Stoiber, solle bei den Schülern auch eigenes Engagement angestoßen werden: „Durch die unmittelbare Begegnung von Politik und Jugend können wir alle voneinander lernen.“

Lernen konnte man an diesem Dienstag vor allem eines: ein Handy hat jeder dabei, ob aber wirklich auf jedem auch Pornos und gewalttätige Streifchen abgespeichert sind, das ist nur schwerlich rauszufinden. Jedenfalls: heute und hier wird kein neues Blut-Video gedreht, die einzige Emotion ist eben jenes Stoiber-Knipsen. Kein Gejubel, keine Buhs. Das Sicherheitspersonal, heimlich vielleicht sogar aufgestockt, hat nichts zu tun.

„Versteht man mich nicht? Normalerweise versteht man mich auch ohne Mikro!“ Stoiber sagt’s – und keiner lacht. Wenn so das aschermittwöchliche Passau-Publikum von morgen aussieht wird’s eng. Nach der Rede mit dem Inhalt „die Zukunft seid ihr (...), ich wünsche uns allen eine gute Zukunft!“ bilden sich drängende Grüppchen um Kultusminister Siegfried Schneider, Umweltminister Werner Schnappauf oder Justizministerin (Stoiber: „Die Herrscherin über die Gefängnisse“), Beate Merk. Und natürlich um Stoiber selbst, dessen Referent kaum nachkommt, Autogrammkarten zu verteilen.

Die Kritik mancher Schüler etwa am Handyverbot vermischt sich schnell mit dem Wunsch nach dem scheinbaren Kultobjekt Autogramm. Ein paar bleiben standhaft und wollen eigentlich über die Probleme an Bayerns Schulen diskutieren. So auch Markus Kuhn vom Forchheimer Herder-Gymnasium: „Wer bitteschön soll denn so ein Handyverbot durchsetzten. Das ist doch ein Gschmarre!“

Nach einer knappen Stunde hat Edmund Stoiber unzählige Male in Objektive gelächelt, unzählige Male „es geht um eure Zukunft“ gesagt, als er manchmal doch kritisch auf die Durchsetzbarkeit des Handyverbots an Schulen angesprochen wurde. Dann noch ein paar Mal gewinkt. Und ab. Die Band spielt „I love you“. Tatsächlich.

Artikel vom 06.04.2006
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