Albrecht Ackerland über Schulstress

»Da schau her«

Zum Fußballschauen gehe ich oft zu meinem Spezl Loisl. Der Loisl hat einen Sohn, den Carlo. Der Carlo ist Zwölf. Seine Mutter ist Modefotografin und heißt eigentlich Hannelore. Schon vor einiger Zeit aber hat die Hannelore in ihren Pass ein „Hanè-Loire“ reinschreiben lassen, so wollte sie fortan genannt werden. Ein Künstlername.

Denn der Hannelore wurde irgendwann einmal alles zu viel: Ihr Vorname, die Matchboxautos, die das Parkett so dermaßen verkratzen und dessen Besitzer aus lauter Forschergeist einmal wissen wollte, was passiert, wenn man das herauszieht, was aus Mamas Filmdose heraussteht. Es passierte eine Menge: Die aufwendig produzierten und noch unentwickelten Model-Fotografien-Filme bekamen Licht ab, Hannelore bekam einen hysterischen Heulkrampf, und der Loisl bald einen alleinzuerziehenden Sohn. Ja, genau: Der Hannelore lief ihr Filmdoserl über, sie zog als „Hanè-Loire“ nach New York. Hello Freiheit, goodbye Wirklichkeit – irgend so ein Hochglanzblattl wird’s schon finanzieren.

Seitdem also haben sich der Carlo und der Loisl ganz für sich allein. Jetzt glauben’s aber bloß nicht, der Loisl ist so ein feinwaschmitteliger Birkenstock-Papa. Sein Regiment ist mindestens mittelscharf. Dem Carlo taugt’s. Jedes Mal wenn ich hin komm’ zum Fußballschauen, herrscht volle Harmonie – der eine plärrt den anderen an und umgekehrt. Kurz vor Anpfiff gibt’s Schweinswürstl mit Sauerkraut und Senf. Allen geht’s gut, und der Carlo lässt zur Feier einen fahren.

Letztens sag’ ich zum Carlo: „Mei, du hast es gut. Bist jung. Hast einen spitzen Namen. Kannst die Schule genießen. Überhaupt, Carlo: Schule, Schule ist der Wahnsinn.“ Manche Erwachsenen-Weißheiten müssen einfach weitergeführt werden, auch wenn man sie selbst –damals - noch so zum Kotzen fand. Also: „Was du jetzt lernst, das nimmt dir keiner mehr!“ - „Recht hast“, sagt der Carlo, „mein Name ist wenigstens cool!“ Irgendwie werd’ ich den Verdacht nicht los, dass er nicht nur auf „Hanè-Loire“ und die sieben Kevins in seiner Klasse abzielte. Beim nächsten Fußballabend jedenfalls hab’ ich ihm auf die Schulter geklopft und gesagt: „Call me ‚Al’! You Mustard!“

Ein paar Tage später, so hat’s mir der Loisl erzählt, habe die Englischlehrerin dem Carlo ein kleines Händlmaier-Glasl überreicht. „This is mustard!“ soll sie vor der Klasse zum verdutzten Carlo gesagt haben. Offensichtlich hat sie zuvor mitgekriegt, wie der Carlo alle als „Mustards“ beschimpft hat und dabei dachte, er benütze ein grässliches englisches Schimpfwort. Hoffentlich, das denke ich mir heute, wird der Carlo nicht künftig nur noch als der „Senfkarli“ gemobbt.

Artikel vom 16.03.2006
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