Liberalisierung des Briefmarktes: Engpässe befürchtet

Viel Lärm um Nichts?

Egal, ob Bundespost oder Post, Briefträger müssen immer noch jedem Wetter trotzen. Beamte sind sie aber nicht mehr. Foto: Deutsche Post

Egal, ob Bundespost oder Post, Briefträger müssen immer noch jedem Wetter trotzen. Beamte sind sie aber nicht mehr. Foto: Deutsche Post

München - Für die einen ist sie ein Segen, für die anderen ein Fluch. Während Firmen und Kleinunternehmer die Öffnung des Marktes für Briefe unter 50 Gramm – das letzte der noch der Post verbleibenden Monopole – herbeisehnen, ist sie für Arbeitnehmervertreter eine reine Horrorvorstellung.

Wie im vorigen „SamstagsBlatt“ berichtet, profitieren vor allem Privatpersonen und örtliche Vereine von einer dem freien Markt geöffneten Briefzustellung. Die Germeringer Briefmarkenfreunde hatten den Druck einer Sondermarke in Österreich in Auftrag gegeben, weil die Deutsche Post ihr Anliegen unter Berufung auf die „Exklusivität“ dieses Sektors zurückgewiesen hatte. Sperrt sich der vermeintliche Monolith „Gelber Riese“ gegen eine längst fällige Entwicklung, die nach allgemeiner Auffassung mehr Kundenfreundlichkeit bringen wird? Die Deutsche Post hat ihre Zweifel: „Ob eine Marktöffnung in diesem Bereich sinnvoll ist, muss man abwarten“, schildert Sprecher Dirk Klasen.

Als der Staat im Jahre 1999 die Postreform auf den Weg brachte mit dem Ziel, mehr Wettbewerb zu ermöglichen, fielen ureigenste Aufgabenbereiche der Deutschen Post wie Paketversand, Kurierdienste und Spezialtransporte wie Dominosteine. Nur die Briefzustellung unter 50 Gramm blieb, doch auch diese Domäne soll Anfang 2008 an die Konkurrenz gehen. 70 Millionen Briefe, die in der Bundesrepublik jährlich kursieren und dem inzwischen an die Börse gegangenen Unternehmen ein Volumen von 13 Milliarden Euro Gesamtumsatz in die Kassen spülen, werden dann nicht mehr von einer Hand abgewickelt, sondern können über zahlreiche Anbieter verteilt werden.

Doch ob es die überhaupt geben wird, hält Klasen für höchst fraglich. „Die Frage wird doch sein: Wer außer der Deutschen Post wird denn bereit sein, ab 2008 Briefe in Regionen zuzustellen, die eben nicht wirtschaftlich zuzustellen sind?“ Anbieter würden sich vor allem auf die städtischen Ballungszentren konzentrieren, weil hier die größte Masse an Menschen lebt und damit der höchste Gewinn abzuschöpfen ist. Doch ländliche Regionen, Dörfer oder gar Einzelweiler könnten mit der Reform gänzlich auf der Strecke bleiben. „Ob die Briefe auch das hinterste Alpendorf oder die letzte Nordseeinsel erreichen werden, das ist halt die große Frage“, fürchtet Klasen.

Für die Dienstleistungsgesellschaft Verdi tut sich da ein einziges Schreckensszenario auf: „Schauen Sie doch nur nach Österreich, da lauern doch Subunternehmen der Post nur darauf, in Deutschland in dieses Marktsegment einzudringen“, schimpft der Verdi-Fachbereichsleiter für Postdienstleistungen, Logistik und Spedition, Anton Hirtreiter. Eine Marktöffnung werde nicht nur die Zustellpreise in schwindlige Höhe treiben, sondern zu gefährlichen Versorgungsengpässen führen. In einigen Gebieten vielleicht sogar zum Totalstillstand. Auch für die Postangestellten wäre diese Entwicklung, Hirtreiter zufolge, eine Katastrophe. Denn mit dem Konkurrenzdruck werde unweigerlich die Tarifbindung fallen, schlecht ausgebildete Zusteller würden dann auf 400-Euro-Basis arbeiten, die Sozialabgeben fielen weg, was wieder zu Lasten der Gesamtgesellschaft gehen würde.

Das Bayerische Verbraucherschutzministerium hält diese Einschätzungen allerdings für überzogen: „Aus unserer Sicht ist die Versorgung auf dem Land sichergestellt“, gibt sich Ministeriumssprecherin Sandra Brandt optimistisch. Auch das Bayerische Wirtschaftsministerium als Hüterin von Wettbewerbsregeln spricht sich für eine Liberalisierung aus. Rezept: Im ländlichen Raum sollen, wenn Gefahren drohen, bestimmte Schutzmaßnahmen greifen. „Der Postmarkt muss hier weiterhin reguliert und von der Bundesnetzagentur überwacht werden“, fordert Sprecherin Anka Zielezinski. Ob Versorgungsengpässe oder nicht – auf eines können sich die Verbraucher definitiv verlassen: Das Postgeheimnis fällt auch mit der Öffnung des Briefmarktes nicht. „Briefe dürfen per Bundesgesetz nicht geöffnet werden. Daran wird sich nichts ändern“, versichert Klasen. Von Rafael Sala

Artikel vom 16.02.2006
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