Albrecht Ackerland über S-Bahn-Fasching

„Da schau her”

Es war im Fasching. Es war, als der Fasching noch ein Fasching war. Heute ist der Fasching sicher auch noch ein Fasching, irgendwie. Nur für mich nicht mehr so richtig. Man wird halt auch älter - wahrscheinlich liegt’s daran. Ich mein: So einen kleinen Rausch hab ich nach wie vor gern, nur führe ich mir den mittels zwei, drei Herrengedecken – also Bier und Obstler – zu. Noch lieber mit besserem Rotwein.

Keinesfalls aber mehr mit zwanzig Rüscherl, einem grauenvollen Mischgetränk aus Industrieweinbrand und Cola, das einem am nächsten Tag ein beeindruckendes Schmerzerlebnis herbeizaubert: Als rausche eine S-Bahn durch den Schädel, so lang wie die Strecke Erding-Starnberg, so fühlt man sich danach.

Ja, ich zelebrierte den Fasching, mit allem was dazugehört. Heute finde ich, dass immer Fasching ist – um das festzustellen, müssen Sie nur fernsehen oder Zeitung lesen: Die ganze Welt ist ein einziger – wenn auch oft trauriger und tragischer – Karnevalsverein. Und ich persönlich verkleide mich heute, wenn es sein muss, auch im Juli als Krankenschwester oder Sheriff. Das hat jetzt aber nichts mit einer besonderen Neigung oder so zu tun. Dass ich den Fasching nicht brauch, um lustig zu sein oder manchmal auch ein bisserl lustiger, das wissen Sie ohnehin sicher. Außerdem kann ich mittlerweile Maß halten, alkoholisch gesehen.

Zu meinen Rüscherl-Faschings-Zeiten war das nicht unbedingt so. Einmal stieg ich am frühen Morgen in die S-Bahn, um vom Isartor zum Stachus zu kommen. Als ich wieder aufwachte war es später Vormittag, ich fuhr gerade am Bahnhof Starnberg ein. Ich stieg aus, wartete auf die nächste Bahn Richtung München. Sie kam, ich stieg ein, wachte auf in Laim, dachte mir, super, bald bin ich am Stachus. Der nächste Halt war Pasing, da hatte ich die Augen noch halb auf. Bevor ich am frühen Abend nach Hause kam, war ich geschätzte zehn Mal zwischen Erding und Starnberg unterwegs.

Eines muss ich zugeben: das Gerumpel in der S-Bahn hat mir einen recht erholsamen Schlaf bereitet. Das Hin- und Herfahren hatte scheinbar eine positive Wirkung auf meinen Organismus. Allerdings: als ich nach Hause kam, war ich nicht fit genug, um gleich wieder auszugehen. Sie können sich vielleicht vorstellen, wie ärgerlich ich war – stand doch der Hausball im Landshuter Hof an. Ich musste daheim bleiben und ärgerte mich, dass die S-Bahnen nicht häufiger hin- und herfahren können und hegte die Idee einer zweiten S-Bahn-Stammstrecke und Express-S-Bahn. Hätte es die damals schon gegeben, ich hätte in der gleichen Zeit viel öfter zwischen Erding und Starnberg pendeln können. Können Sie sich vorstellen, wie erholt ich gewesen wäre?

Heute ist mir das egal, weil ich ja keine Rüscherl mehr trinke, und den Landshuter Hof gibt’s auch nicht mehr. Den Grünen in München geht's offensichtlich genauso – denn sie wollen plötzlich doch keine zweite Stammstrecke mehr. Hat da etwa jemand seine Liebe zum Weinbrandmischgetränk verloren?

Artikel vom 16.02.2006
Auf Facebook teilen / empfehlen Whatsapp

Weiterlesen





Wochenanzeiger München
 
Kleinanzeigen München
 
Zeitungen online lesen
z. B. Samstagsblatt, Münchener Nord-Rundschau, Schwabinger-Seiten, Südost-Kurier, Moosacher Anzeiger, TSV 1860, ...