Albrecht Ackerland über Laub

»Da schau her«

Der Vater eines Spezl wohnt in Gern, Sie wissen schon, da gleich beim Nymphenburger Schlosskanal. Wo die schönen Häuserln rumstehen, wo jedes Haus ein kleines Garterl dabei hat. Wo es noch massig Bäume an den Straßen gibt. Ein wunderschönes Viertel also, wo man in der Früh beim Bäcker noch was zum Granteln hat. Der Erwin, also der Vater vom Sigi, mag das Leben dort sehr.

An guten Tagen kann das Semmelnholen schon mal eine Stunde dauern. Dann trifft er erst auf der Straße die Grüß-Gott-Frau-Aschenbrenner, mit der er sich zehn Minuten lang über die Burglerin aufregen muss, weil die nie den Gehsteig kehrt. Im Idealfall trifft er dann beim Bäcker die Ja-Guten-Morgen-Frau-Burgler. Dann loben sie gemeinsam die Verkäuferin für die ausgezeichneten Backwaren, während der Sportreporter Noack reinkommt und sich ein Birchermüsli kauft. Der Noack wird dann gleich auch noch mitgelobt für seine gesunde Ernährung, dass er so gut aussehe und sein Bub ja so was von brav sei.

Draußen regen sich beide dann furchtbar auf über die steinharten Brezn, den Körndlbatz vom Sportreporter („Kein Wunder, dass der Bub die ganze Zeit nur plärrt!“) und über die Aschenbrennerin, „die ja immer fetter wird“. Mittlerweile sucht seine Frau den Erwin dann schon, weil der Filterkaffee längst kalt ist. Was den Erwin dann freut, weil er endlich sein Leid loswerden kann. Das Leid von „der keifenden Aschenbrennerin“ und der „g’stinkerten Burglerin“, die beide scharf auf den Sportreporter seien. In der Nachbarschaft nennen sie ihn sicher „die Erwine“. Seine Frau wahrscheinlich auch, wenn sie mit der Frau B. bei der Frau A. zum Nachmittagskaffee ist.

So muss auch der Tag begonnen haben, an dem der Sigi und ich zum Erwin kommen mussten, um eine Fichte im Garten zu fällen. Der Erwin kann nicht mehr so gut, er hat’s ein bisserl in der Hüfte. Wir sind also bei ihm angekommen, die Motorsäge lag schon bereit. Als der Baum umgeschnitten war, gab’s zum Weißbier die Überraschung: Die Fällung war illegal. Eigentlich, so hat uns der Erwin eröffnet, muss bei so einem großen Baum die halbe Stadtverwaltung kommen und das Umschneiden genehmigen. „So ein Schmarren“, hat der Erwin gesagt, was ich gut verstehen konnte. Jetzt bin ich aber Umweltschützer und Baumliebhaber genug, um diese Praxis irgendwie zu verteidigen. Es kann ja nicht sein, dass jeder Bäume fällt, wie’s einem passt. Dass es bei einer solch greißligen Fichte aber dermaßen wurscht ist, das hab ich mir verkniffen – wäre ja nur Holz in dem Ofen vom Erwin gewesen.

„Das hab ich mir gedacht, dass du wieder so rechtschaffend bist“, hat der Erwin zu mir gesagt. „Schau her, da hab ich jetzt eine junge Birke, die pflanzen wir da hin, wo die Fichte war. Die wächst schnell und wirft viel Laub ab. Dann hat die Burglerin was zum Kehren.“ Und er was zum Granteln. Der Baum ist halt doch der beste Freund des Menschen.

Artikel vom 19.01.2006
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