Albrecht Ackerland über die Wahl

„Da schau her“

Froh bin ich, wenn endlich der Wahnsinn vorbei ist. Vorbei die totale Umweltverschmutzung: im Fernsehen sowieso – man kann ja den Kasten seit Wochen kaum mehr einschalten, die Simpsons und der Bulle sind so ungefähr die letzten Sendungen ohne Wahlgeschrei und Breaking-News-Laufbänder und Brutto-Netto-„Ich liebe meine Frau, verdammt-nochmal-wählt-mich-wieder!“-Gefasel.

Ich kann kaum mehr einen Meter zum Brot kaufen gehen, ohne hochglänzenden, geschmacklos designten Faltblattkram in die Hand gedrückt zu bekommen, mit erheischend lächelnden Gesichtern drauf, die ich auf der Straße nicht sehen will.

Schlimmer noch: Dieses Altpapier versuchen mir Menschen anzudrehen, die genau das Gesicht haben. Der letzte Spaß, der einem bleibt, ist schon zehn Meter vor so einem menschgewordenen Prospekthalter zu schreien: „Brauch ich nicht, hab schon gewählt!“ Dann gewinnt die Umweltverschmutzung kurz etwas Lustiges: Das Lächeln friert so merkwürdig ein.

Es stimmt nämlich: Meinen Wahlbrief hat die Post längst bekommen – und hoffentlich nicht verschlampt. Ich bin nämlich am Vorwahlabend auf einer Hochzeit im östlichen Umland eingeladen. Das bedeutet, dass ich sonntags sicherlich nicht wahlfähig bin. Also hab ich vorgewählt. Kürzlich war ich schon mal da, wo diese Hochzeit stattfindet – in der Nähe von Wörth bei Erding. Und was musste ich sehen: Umweltverschmutzung. An einer idyllischen Landstraßenkreuzung, einem wunderschönen Fleck Erde, stand ein Plakat mit einem Kandidaten drauf. Sein Name: Thomas Fickenwirth. Pfui.

Allein schon der Aufschwung, dass die Landschaft wieder bereinigt wird, ist ein Wahlsieg. Und zwar nicht für irgendeine Partei, sondern für das Auge. Sowieso ist alles nicht so schlecht, wie alle tun: Wir haben zumindest nicht beim letzten Krieg mitgemacht, wir rüsten nicht mehr auf, die Atomkraftbedrohung nimmt ab, auf dem Personalausweis ist noch nicht der Gencode gespeichert, vier Fünftel haben Arbeit und das komplette Fernsehen gehört noch nicht einem einzigen Unternehmen.

Nur eines, das muss die nächste Regierung – ob neue oder alte – wirklich in den Griff bekommen: die Umweltverschmutzung.

Artikel vom 15.09.2005
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