Albrecht Ackerland über Gezwitscher

„Da schau her“

Leute wie Mario Schmidbauer brauchen wir. Viel mehr. Regierende, die sich nicht scheuen, Missstände anzuprangern. Die sich um die wirklichen Sorgen und Nöte der Bürger kümmern. Die sich nicht über das Volk stellen: Viele beherrschen die Sprache und Zeichensetzung nicht so richtig – ein Stadtrat muss das auch nicht. Hauptsache, er benützt viele Fragezeichen. Und noch wichtiger ist: Sonne im Herzen und Sinn für Poesie.

Mario Schmidbauer ist Münchner Stadtrat, beweist all das, und tierlieb ist er auch noch: „Seit längerem zwitschern die Vögel nicht mehr.“ Genau so stand es in einer kürzlich an OB Ude gerichteten Anfrage mit dem Titel „Kunstwerk oder Schildbürgerstreich??????“

Mit dieser Blüte der sonst so tristen politischen Schriebe öffnete er mein Herz. Und sicherlich nicht nur meins. Der Wortlaut: „Seit einigen Monaten steht ein Glashäuschen mit Tarnanstrich am Pariser Platz. Die Bürgerinnen und Bürger die das besagte Häuschen von der Ferne dort stehen sehen, sind der Meinung, dass es sich um Kanalarbeiten handelt und die Baustelle durch das Häuschen verdeckt werden soll.“ Ein modernes Gedicht!

Weiter im Originalzitat – so schön, so schön: „Bei näherer Betrachtung hörte man am Anfang Zwitschern von Vögeln, das zum einem für Empörung über das Einsperren von Vögeln sorgte und zum anderen Sprachlosigkeit wenn man darauf hinweist, dass es sich um Kunst handelt.“

Seit ich das las, stöhne ich nicht mehr – ich zwitschere! Denn: „Gerüchte halber wird um den Pariser Platz verbreitet, das Zwitschern musste aufhören wegen Lärmbelästigung und Ruhestörung in der Schlafenszeit. Seitdem zwitschern die Vögel auch bei Tage nicht mehr.“ Die zentrale Philosophie des Mario Schmidbauer entfaltet sich aber erst so richtig in den eigentlichen Fragen. Ich bin mir sicher, er bezieht sich insgeheim auf das ganze Leben, nicht nur auf das Zwitscherhäuserl. Denn all diese Fragen stelle ich mir schon seit langem, nur war ich nie in der Lage, sie so treffend zu formulieren. Das Leben und seine Geheimnisse in neun Teilen:

1. Wer hat veranlasst, dass dieses so genannte Kunstwerk nicht am ursprünglichen Ort, sondern am Pariser Platz aufgestellt wurde?

2. In welcher Höhe wurde diese Maßnahme bezuschusst?

3. Wer hat den Antransport und die Aufstellung bezahlt?

4. Wird der Strom von der Stadt bezahlt?

5. Wer trägt die Kosten für den Abbau und den Abtransport?

6. Wurde der Bezirksausschuss zu diesem Standort befragt?

7. Wurde das Zwitschern tatsächlich auf Grund von Beschwerden wegen Lärmbelästigung in der Nacht abgeschaltet?

8. War den Verantwortlichen nicht klar, dass Vögel in der Nacht nicht zwitschern und dies zu Beschwerden führt?

9. Warum zwitschern die Vögel bei Tage nicht mehr?

Danke! So schön, so warm tropften selten Tränen auf meine Tastatur. Philosophen an die Macht, mehr von ihnen!

Artikel vom 08.09.2005
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