Albrecht Ackerland über Tracht

„Da schau her“

Eigentlich sollte einem als Liebhaber der bayrischen Kultur das Herz höher schlagen. Wurde man vor fünf, zehn Jahren noch belächelt, ja ausgelacht, wenn man in jüngeren Kreisen eine Lederhosen anhatte, bekennt sich seit einiger Zeit die Münchner Jugend wieder zur Tracht.

Mittlerweile sieht man sogar an den Gymnasien, so hörte ich, immer öfter Hirsch-, Kalbs- und Schweinslederne. Auch Dirndl werden wieder getragen.

Allerdings hab ich auch mitbekommen, dass die bayrische Sprache seit langer Zeit in München immer mehr zum Witzslang verkommt. Wer hier normales Bayrisch, gar vornehmeres Münchnerisch spricht, wird von so manchen schnell in geistigen Tälern vermutet. Oder man gilt plötzlich als rückwärtsgewandter Rechtsaußen. Wie geht das alles zusammen? Gar nicht.

Am schlimmsten aber ist die fortschreitende Verkitschung der Tracht, die längst keine mehr ist, genannt: Landhausmode. Da kommen plötzlich neobarock aufgeplusterte, bauchfreie Damenoberteile im Dirndlstoff und mit Herzerlstickereien daher. Kleidung gewordenes Grauen. Da werden Kartoffelsäcke zu Westen verarbeitet, kosten 280 Euro und werden als „Original Bayerisch“ angeboten. Hilfe, wo ist mein Sepplhut, ich will hier weg!

Doch bald wird’s erst so richtig schlimm – noch verseucht die Anti-Mode das Stadtbild meist nur aus den Schaufenstern heraus. Zur Wiesnzeit wird so was dann aber auch getragen – von Menschen, die wenig später „zwei Maaas“ bei der „hey Resi“ bestellen und der Oma nach Castrop-Rauxel eine Ansichtskarte schicken, auf die sie schreiben, wie gut sie sich hier in München eingelebt hätten, sogar echte bayerische Tracht besäßen sie neuerdings.

Ob es solche Leute waren, die kürzlich nicht in eine Münchner Disko reingelassen wurden, weiß ich nicht. Jedenfalls tönte der Boulevard, man komme in München nicht in Diskos, wenn man Tracht trägt. Das nämlich war angeblich der Grund, warum sie nicht rein durften. Ich kann nur hoffen, dass der Türsteher nur geschmackssicher war und im Laden kein Kleidung gewordenes Grauen haben wollte – so sehr auch Wiesnzeit ist, oder gerade deswegen.

Meine Mission auf der Wiesn steht schon fest: Landhausmoden werden konsequent ignoriert, kein Prost, keine Auskunft, nix. Echte Lederhosen, neue, begieße ich nach Begutachtung des Trägers heimlich oder versehentlich mit meinen Noagerln. Das macht die Hosen schneller speckig, und so hat schließlich bayrische Tracht auszusehen. Die Echte.

Artikel vom 25.08.2005
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