Albrecht Ackerland über Dekolletees

„Da schau her“

Es war die Hölle. Ganz nass geschwitzt war ich, als ich aufwachte. Das war der schrecklichste Traum seit langem. Ich saß im Biergarten – buchstäblich ein Traumbiergarten, überall uralte Kastanien, durch deren Kronen vereinzelte Sonnenstrahlen geschmeidig durchkamen. Es war nicht zu heiß und nicht zu kühl, nicht zu hell und nicht zu dunkel. Nur: Alle Bedienungen liefen in signalfarbenen Overall-Anzügen herum.

Über den Köpfen trugen sie Sturmhauben, wie sie Bankräuber und Motorradfahrer tragen. Handschuhe hatten sie auch noch an. Die Bedienungen stöhnten ob der Hitze, obwohl unter den Kastanien eigentlich das menschenfreundlichste Klima überhaupt herrschte. Eine neue EU-Vorschrift war in Kraft getreten: Zum Selbstschutz durften Menschen, die im Freien arbeiten, fortan kein Stück Haut mehr unbedeckt lassen.

Ich wachte auf, als mir die Bedienung im Traum gerade eine Art Einweg-Overall und einen Papierhut mit überbreiter Krempe überstülpen wollte. Die neue Ordnung galt auch für Gäste! „Neeeeeeein!“, schrie ich immer noch, als ich schon wach war. Ich wusste, woher der Albtraum kam. Tatsächlich soll eine neue EU-Richtlinie kommen. Aus Gründen des Strahlenschutzes sollen künftig Arbeitgeber für den Sonnenschutz ihrer Beschäftigten verantwortlich sein.

Vielleicht ist meine Fantasie durchgaloppiert – welches fesche Fräulein zwängt sich schon in einen Overall, zumindest abseits von Formel-1-Boxen. Aber wer weiß: Eine zweite Schürze fürs Dekolletee könnte es tatsächlich bald geben. Das bedeutet dann – wenn nicht gleich den Untergang des Abendlandes – immerhin den Untergang des bayerischen Brauchtums. Eine g’scheite Bedienung muss nicht nur dezent grantig sein und viele Maßkrüge schnell tragen können. Sie muss ihr Dirndl-Gwand (auch Pflicht!) ausfüllen können, und das, womit sie füllt, auch zeigen. Wo samma denn?

Ich fordere, dass schleunigst die EU-Verfassung geändert wird. In ihr muss an oberster Stelle stehen, dass keine Verordnungen erlassen werden dürfen, die einer Bedienung ein Dirndl samt Ausschnitt verbieten! Jeder Mensch weiß hoffentlich selbst, wie er sich vor der Sonne und vor sonst noch was schützt, auch und gerade eine Bedienung. Nicht dass als nächstes kommt: Bier darf nicht mehr in Maßkrügen, sondern nur noch in rheinischen 200-Milliliter-Stangerln ausgeschenkt werden, weil eine größere Biermenge den Gast bedrohen könnte.

Nachdem ich mir einen feinen Hopfentee gemacht hatte, bin ich wieder sehr sanft eingeschlummert. Und habe geträumt: von sehr, sehr schönen... Ja, genau.

Artikel vom 04.08.2005
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