Albrecht Ackerland über den Kreisjugendring

„Da schau her“

Letzten Samstag war ich bei meinem Spezl Xaver beim Weißbiertrinken. Xaver ist alleinerziehender Vater und wohnt in einem angenehm unrenovierten Haus in Schwabing mit einem schön eingewachsenen Innenhof. Dort saßen wir und haben uns über neue Schallplatten unterhalten.

Xavers Sohn Ludwig, er ist 14, wurde vom Papa zum „Oben Ohne“ geschickt. Das ist ein Open-Air-Konzert, das der Kreisjugendring jedes Jahr auf dem Königsplatz veranstaltet. Den Jugendlichen soll was geboten werden – so kamen die Pädagogen wohl auch auf den Titel. Nur lässt sich mit solch verschämt-anzüglichen Doppeldeutigkeiten sicher kein einziges Kichern mehr erzeugen. In den Ohren der Jugendlichen muss so etwas klingen, wie etwas halt klingt, das Alte erfinden, die vortäuschen wollen, es sei von „echten“ Jungen.

Nun gut. Der Ludwig wollte gar nicht hingehen. Denn die Bands und Künstler, die dort auftraten, interessierten ihn nicht. Ludwig ist Fan von „Sido“, einem Rapper aus Berlin, der in seinen Songs erzählt, wie hart es ihm im Berliner Ghetto ergeht. So etwas gefällt Münchner Jugendlichen, weil hier ist nur die Pubertät hart zu einem.

„Sido“ ist der Gipfel des Primitiven, da sind sich Xaver und ich einig. Auf dem „Oben Ohne“ dagegen waren die „Fantastischen Vier“. Anfang der Neunziger Jahre hatten sie Erfolg und waren geachtete Popstars. Damals war Ludwig ungefähr zwei und interessierte sich eher für Hipp als für Rap.

Noch einige andere spielten auf dem Festival – allesamt bekannt aus dem gefühlsduseligen Studentenfunk. Ludwig aber hört keinen Studentenfunk. Trotzdem muss-durfte er zum „Oben Ohne“, der Papa zahlte ihm den jugend-unfreundlichen Ticketpreis von ungefähr fünfzig Euro. Nach dem dritten Weißbier wurde uns langweilig im Innenhof, und wir radelten rüber zum Königsplatz, schmuggelten uns nach alter Revoluzzer-Manier aufs Gelände – ohne zu bezahlen. Wir waren neugierig, was die Jugend so macht, und Xaver wollte seinen Sohn ein wenig mit seinem unerwarteten Erscheinen ärgern, weil nichts ist für einen 14-Jährigen schlimmer, als wenn die Eltern irgendwo hin kommen, wo man selbst ist.

Wir dachten, es wird sicher schwierig, unter tausenden 14-Jährigen den Ludwig zu finden. Doch wir stutzten, als wir ankamen: Da waren eher tausende Langzeitstudenten, Menschen eben, die gerne gefühlsduseligen Studentenfunk hören.

Schnell fanden wir den Ludwig, und der war alles andere als peinlich berührt, sondern freute sich, als wir kamen. Keiner seiner Bekannten war da. Den saftigen Ticketpreis konnte sich keiner leisten. Wir haben uns dann zusammen die „Fantastischen Vier“ angeschaut. Um zehn war’s vorbei. Schließlich müssen die Jugendlichen rechtzeitig nach Hause, wenn auch kaum Jugendliche da waren.

Auf dem Nachhauseweg meinte der Xaver zu mir, dass wir uns wahrscheinlich bald freuen, wenn solche Konzerte früh zu Ende sind, denn ältere Herren gehen bekanntlich gern früh zu Bett. Das „Oben Ohne“ gibt es dann sicherlich immer noch – nur heißt es „Oben Mit“ (Strickjacke). Veranstaltet wird es vom Kreisseniorenring, dem Bund, der einmal glaubte, zu wissen, was Jugendliche wollen, dann aber gemerkt hat, dass man den Geschmack der eigenen Altersgruppe viel besser treffen kann.

Artikel vom 28.07.2005
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