Die Stadt reformiert die Seniorenbetreuung

München - „Die Alt-68er werden Rentner“

Alt sein macht Spaß: Wenn im richtigen Moment Hilfe kommt. Dafür soll die Reform der „Alten- und Servicezentren“ sorgen. 	Foto: Archiv

Alt sein macht Spaß: Wenn im richtigen Moment Hilfe kommt. Dafür soll die Reform der „Alten- und Servicezentren“ sorgen. Foto: Archiv

Die Diskussionen des Stadtrats über eine bessere Betreuung von Senioren haben ein beinahe biblisches Alter erreicht. Und biblisch ist auch die Zahl der Senioren in München: Zurzeit gibt es rund 331.000 Münchner, die über 60 Jahre alt sind – das sind 23 Prozent der gesamten Einwohner.

Und weil die Senioren künftig noch zahlreicher und älter werden, über den städtischen Haushalt aber immer noch kein Geldregen geprasselt ist – will das Sozialreferat die bestehenden Gelder effektiver einsetzen. In erster Linie sollen die 28 „Alten- und Servicezentren“ (ASZ) künftig wirklich zentrale Schnittstelle werden für die Hilfe, die ältere Münchner in der eigenen Wohnung bekommen oder die im Viertel angeboten wird.

Es soll mehr Wert auf Beratung gelegt werden – auf Kosten der ASZ-Kursangebote allerdings. Aber auch weiterhin dürfte das knappe Geld ein Problem sein: Obwohl weitere Alten- und Servicezentren gebaut werden, wird der sechs Millionen schwere Gesamt-Etat für alle Einrichtungen (knapp sechs Millionen Euro) geschmälert.

Hilfe statt Kaffeeklatsch – kann man die neue Ausrichtung der ASZ so beschreiben? „Aber nein – es wird weiterhin Treffmöglichkeiten geben“, so Günther Wolf vom Sozialreferat. „Aber stärker noch werden die Zentren dafür stehen, Versorgungsangebote zu vermitteln und älteren Leute beratend zur Seite zu stehen. Die Senioren sollen möglichst lange selbstständig zu Hause leben können.“ Außerdem könnten sich ältere Münchner auch in der Seidlvilla oder der Volkshochschule treffen. „Wir müssen keine Doppelstrukturen anbieten.“ Intensiv werden sich die Zentren künftig auch um ältere Ausländer und Demenzkranke kümmern.

Für alle diese Aufgaben sind nach wie vor 2,5 Fachkräfte pro Einrichtung zuständig – und Ehrenamtliche, auf deren zunehmendes Engagement das Sozialreferat baut: „Bisher helfen rund 900 Münchner mit“, sagt Wolf. „Ich gehe davon aus, dass sich deren Anzahl erhöht: Die Bürger denken immer sozialer. Und auch in Firmen macht sich eine amerikanische Kultur breit: Um ihr Image zu verbessern, bieten sie ehrenamtliche Hilfe an.“

Dient die Reform dazu, Senioren in ihren Wohnungen zu behalten, weil in den immer voller werdenden Heimen kein Platz mehr ist? „Das wäre doch ein positiver Effekt“, ist Wolf überzeugt. „Schließlich herrscht eine Win-Win-Situation, wenn die Menschen durch die Unterstützung der ASZ länger daheim bleiben können: Das ist die billigste und auch humanste Weise, seinen Lebensabend zu verbringen. Es geht doch keiner freiwillig ins Heim.“

Kein Wunder, gibt es doch immer noch einige Schwierigkeiten in Altenheimen. Die Münchner „Beschwerdestelle für Probleme in der Altenpflege“ beschreibt ganz handfest Merkmale, die an der Pflegequalität zweifeln lassen sollten: Wenn die Bewohner außerhalb der Mahlzeiten Lätzchen umhaben, der Jahreszeit unadäquat gekleidet sind, wenn alle Jogginghosen tragen, die Bewohner „Oma“ genannt werden oder Essensreste am Boden liegen, dann stimmt die Pflege nicht. Die Beschwerdestelle wurde 1997 von der Stadt nach mehreren Pflegeskandalen errichtet, doch immer noch müssen jährlich über 200 Fälle bearbeitet werden.

Zumindest aber will die Stadt ihre Altersheime ausbauen: Zusätzlich zu den 6.700 Pflegeplätzen sollen bis 2015 1.300 neue geschaffen werden. „Das ist auch nötig. Momentan reichen die Heimplätze noch – in Zukunft aber nicht mehr“, glaubt ASZ-Expertin Huber. Sozialreferent Friedrich Graffe setzt auch auf Alternativen zur Heimunterbringung: Künftig sollen pro Jahr je zwei ambulant betreute Pflege-Wohngemeinschaften mit insgesamt 15 Plätzen entstehen. Diese insgesamt 20 WGs sollen jeweils eine „Anschubfinanzierung“ in Höhe von 50.000 Euro erhalten.

„Die Idee von Senioren-WGs steckt zwar noch in den Kinderschuhen“, so Pressesprecher Wolf, „aber sie sind definitiv im Kommen. Viele Interessenten, die früher als Studenten positive WG-Erfahrungen gemacht haben, rufen bei uns an, fragen, wo und ob es denn Wohngemeinschaften für Senioren gibt. Mir scheint, die Alt-68-er werden langsam Rentner.“

Auch Generationen übergreifende Wohngemeinschaften seien denkbar: Im Rahmen des Projekts „Wohnen für Hilfe“ beispielsweise leben Studenten und Senioren unter einem Dach. Die Idee: Die Studenten zahlen keine Miete, helfen den Senioren aber pro Quadratmeter Wohnraum eine Stunde im Monat; in einem Pasinger Wohnhaus funktioniert dieses Projekt seit Jahren zum gegenseitigen Nutzen.

Dass WGs keine gute Idee sind, findet dagegen der Verein „Nachbarschaftlich leben für Frauen im Alter“. „Wir sind Frauen, die Wert legen auf eine eigene Wohnung. Wir wollen nicht mehr mit Mitbewohnern darüber streiten müssen, ob der Klodeckel hoch- oder runtergeklappt ist, ob die Badewanne geputzt und ob das Radio zu laut ist“, sagt Ilse Braun. Acht Vereins-Frauen wohnen seit 1997 in einem Mietshaus in Pasing – jede in einer eigenen Wohnung. Lediglich einen Gemeinschaftsraum teilen sie sich. „Jede hat ihr eigenes Umfeld, aber Nachbarinnen, auf die sie sich hundertprozentig verlassen kann.“

Davon, das Haus auch für Männer zu öffnen, hält Braun nichts: „Das gäbe nur Hahnenkämpfe“, sagt sie. „Die Frauen im Haus haben mit Partnerschaften abgeschlossen. Und haben sich ein vernünftiges Leben als Singles eingerichtet.“

Und falls sie doch noch mehr Hilfe brauchen, dann greift ihnen vielleicht das nächst gelegene Alten- und Servicezentrum unter die Arme: An der Reform wird ab sofort gearbeitet; ab 1. Januar 2006 tritt sie voraussichtlich in Kraft. Von Nadine Nöhmaier

Seniorenbetreuung: „Münchner Modell“

Insgesamt gibt es in München 28 Alten- und Servicezentren die alle von Wohlfahrtsverbänden betrieben werden, nur eines arbeitet direkt in Verantwortung der Stadt. Die Verteilung auf die Stadtviertel ist sehr unterschiedlich: In 15 Stadtbezirken besteht je ein ASZ, in fünf Stadtbezirken je zwei und in einem Stadtbezirk drei. Auch die Viertel ohne ASZ - Maxvorstadt, Riem und Aubing – werden derzeit in das System eingebunden.

Dringenden Bedarf hat außerdem das Hasenbergl, wo derzeit intensive Standortverhandlungen geführt werden. Zudem werden zwei Standorte verlagert: Das im Altenheim an der Rümannstraße untergebrachte ASZ Schwabing-Nord zieht an die Münchner Freiheit (Fertigstellung Ende 2005), das ASZ Fürstenried-West wird Ende 2007 in Solln errichtet. Der weitere Ausbau der ASZ richtet sich nach der demographischen Entwicklung der über 60-Jährigen in den einzelnen Stadtteilen.

Das Netz von Alten- und Service-Zentren (ASZ) wird bundesweit als „Münchner Modell“ bezeichnet: München ist bis heute die einzige deutsche Großstadt, die für ältere Menschen ein dezentral aufgebautes und flächendeckendes Netz an Angeboten zur Beratung, Versorgung und Kommunikation finanziert. nan

Artikel vom 14.07.2005
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