Gibt es zuviel Bürokratie in München?

München · Im Würgegriff der Paragraphen

Alles nur noch Akten? Wirtschaftsverbände fordern den Abbau von Regeln und Papierkrieg in München.

Alles nur noch Akten? Wirtschaftsverbände fordern den Abbau von Regeln und Papierkrieg in München.

Als „Bürokraten-Hauptstadt“ wird München vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IDW) bezeichnet. „München ist beim Bürokratieabbau vorne“, behauptet dagegen Thomas Böhle, Personalreferent der Stadt. Und Erich Greipl, Präsident der Industrie- und Handelskammer (IHK) für München und Oberbayern, schimpft wiederum: „Die Bürokratie in Bayern gängelt den Mittelstand.“ Wer hat Recht?

Auf je 100 Einwohner kommen in München 3,3 Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigte im städtischen Dienst – diese Zahl hat das Institut der Deutschen Wirtschaft vor wenigen Wochen veröffentlicht. Im Vergleich: Essen hat nicht einmal 1,5 Gemeindediener pro 100 Einwohner angestellt, und auch in Dortmund und Düsseldorf ist die Bürokratendichte nur halb so hoch wie in der bayerischen Landeshauptstadt.

„Das Institut hat falsch gerechnet“, widerspricht Personalreferent Böhle. Zum einen basiere die Statistik auf veralteten Zahlen: 2,2 Beschäftige kämen zurzeit auf 100 Einwohner, was konkret heißt: 28.610 Amtsdiener auf 1.273.000 Bürger. Und überhaupt: „Ein Vergleich der Personalstärke verschiedener Kommunen ohne Blick auf das Leistungsspektrum und die Form der Leistungserbringung ist sowieso nur beschränkt aussagefähig“, so Böhle. In München beispielsweise machen Lehrer knapp ein Fünftel des städtischen Personals aus, was eine bayerische Besonderheit sei: „In keinem anderen Bundesland gibt es städtische Schulen.“ Zudem besitze München überproportional viele Kinderbetreuungseinrichtungen mit städtischem Personal, das auch Köche und Putzfrauen einschließe; andernorts seien solche Einrichtungen überwiegend in der Hand freier Träger.

Selbst die Münchner Philharmoniker stehen auf der Gehaltsliste der Stadt. „Und die kann man kaum als Bürokraten bezeichnen“, so der Münchner Personalreferent. „Ein Bürokrat ist meiner Meinung nach jemand, der am Schreibtisch sitzt und verwaltet.“ Ohne Lehrer und Kinderbetreuer würden auf 100 Bürger ohnehin nur mehr 1,6 städtische Mitarbeiter kommen. Böhle: „Damit reiht sich München unter den Großstädten ein, die eine schlanke Verwaltung aufweisen können.“

Ob 3,3 oder 1,6 Mitarbeiter pro 100 Einwohner: Münchens Bürger zumindest scheinen recht zufrieden zu sein mit der Stadtverwaltung: Mehr als 62 Prozent versicherten in einer repräsentativen Umfrage vom Dezember 2003, die Stadt präsentiere sich als „moderner Dienstleister“; lediglich 6,3 Prozent der Befragten zeigten sich gar nicht zufrieden mit der Verwaltung. Verbessert habe sich in den vergangenen Jahren vor allem die Erreichbarkeit der öffentlichen Ämter via Internet; ferner hätten sich die Kinderbetreuungsangebote der Ämter erfreulich entwickelt; die städtischen Mitarbeiter seien ohnehin äußerst freundlich. Allein die Parkmöglichkeiten in Amtsnähe habe sich in den letzten Jahren verschlechtert.

Eine McKinsey-Umfrage von Ende April untermauert die Aussagen: Die Münchner seien mit ihrer Verwaltung zufriedener als die Einwohner aller anderen Großstädte, heißt es darin. Und gelobt werden – wie stets – die Stärken der Isarmetropole: „Die günstige Branchenstruktur, starke Unternehmer und ein starker Oberbürgermeister“.

Der Mittelstand dagegen stöhnt unter dem Würgegriff der Bürokratie – egal ob verursacht durch die Stadt oder die europäische Union: „Mehr als 5.000 Gesetze und Verordnungen mit mehr als 85.000 Einzelvorschriften lähmen unternehmerische Kreativität und Gestaltungskraft“, schimpft Münchens IHK-Chef Greipl. Die EU-Gurkenverordnung beispielsweise schreibt vor, wie stark eine verkauffähige Gurke gekrümmt sein darf. Die Viehverkehrsordnung regelt die Staatsangehörigkeit von Pferden. Und die Arbeitsstättenverordnung sorgt dafür, dass Firmentoiletten mindestens 21 Grad warm sind. Einen ersten, unbürokratischen Stuhlgang hat zumindest aber Wirtschaftsminister Wolfgang Clement verschrieben: Wurden bisher bei mehr als fünf Angestellten unterschiedlichen Geschlechts getrennte Klos verlangt, so können Männlein und Weiblein inzwischen den selben stillen Ort benutzen. Aber weiter „getrennt“ bei der tatsächlichen Nutzung, darauf legt die Arbeitsstättenverordnung immer noch wert.

Ohne allzu genau auf die Ergebnisse seines Instituts einzugehen, fordert Klaus-Heiner Röhl vom IDW eine Schlankheitskur für die Stadt München: „Viele Bürokraten ziehen viele Regeln nach sich: Die schaffen sich ihre Arbeit selbst, indem sie minutiös mehr und mehr Dinge überprüfen.“ München sei beispielsweise „rückständig bei der Privatisierung öffentlicher Aufgaben“, so Röhl. „Die Finanzlage der Stadt war wohl trotz wirtschaftlicher Krisen immer noch besser als die anderer Städte. Daher hat sie es wohl nicht so nötig gehabt, kommunale Mittel einzusparen.“ Die Entsorgungsbetriebe hätten andere Städte beispielsweise bereits verkaufen müssen. In München hingegen schlagen die Personalausgaben der Müllabfuhr bei der Stadt zu Buche. Insgesamt gab sie 2004 1,3 Milliarden Euro für ihre Angestellten aus.

Dabei würde sich das Outsourcen öffentlicher Aufgaben für alle Beteiligten lohnen, ist Röhl überzeugt: „Das schafft Arbeitsplätze im Mittelstand und würde dem Wettbewerb gut bekommen. Der Stadt würden zudem Steuergelder zufließen; zugleich würde sie Personalkosten sparen.“

Eine Meinung, die in München durchaus nicht jeder teilt. Beim Wasser etwa, dem Lebensmittel Nummer eins, stellt das Referat für Arbeit und Wirtschaft klar, dass die Versorgung mit Trinkwasser als Teil der kommunalen Daseinsvorsorge zu den ureigensten Aufgaben einer Gemeinde gehöre: „Die Landeshauptstadt München setzt sich dafür ein, dass dies auch in Zukunft so bleibt. Der Oberbürgermeister und die Stadträte aller Fraktionen wenden sich geschlossen im Namen der Münchner Bürgerinnen und Bürger gegen die Bestrebungen der Welthandelsorganisation und der Europäischen Kommission, Wasser durch Liberalisierung und Privatisierung zu einem x-beliebigen Handelsgut und Spielball profitorientierter Konzerne zu machen.“

Artikel vom 19.05.2005
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