Radlstraßen: Lobbyverband will Verhältnisse wie in Holland

München - 100.000 Pedalritter täglich unterwegs

Wenn’s mal nicht so rund läuft im Rathaus, setzt sich Münchens OB Christian Ude eben aufs Radl.Foto: Presseamt

Wenn’s mal nicht so rund läuft im Rathaus, setzt sich Münchens OB Christian Ude eben aufs Radl.Foto: Presseamt

Christian Ude rollt auf zwei Rädern, Edmund Stoiber gelegentlich auch und im Schnitt radeln täglich rund 100.000 Menschen in der Stadt: Zehn Prozent aller Wege werden in München mit dem Fahrrad zurück gelegt, im Schnitt strampelt jeder 4,4 Kilometer pro Fahrt.

„Prozentual gesehen ist das absoluter Rekord in Deutschland“, weiß Hannes Bojarsky, Geschäftsführer des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) München. „München ist in punkto Radwege mit Abstand die attraktivste Millionenstadt Deutschlands.“ Wunderbar flach ist die Isarmetropole außerdem, bis auf das Isarhochufer zwischen Gasteig, Giesinger Berg und Grünwald geht’s meist ohne großes Strampeln dahin.

Begonnen hat die Fahrradfreundlichkeit Münchens Anfang der 80er Jahre, als der erste Radweg der Stadt neben der Ludwigstraße gebaut wurde. Vom Siegestor bis zur Von-der-Thann-Straße reichte er. Heute gibt es ein Radwegnetz, das sich sternförmig vom Marienplatz bis hin zu allen Vierteln am Rande des Stadtgebietes ausbreitet. 702 Kilometer misst es insgesamt; in den nächsten Jahren sollen es 890 Kilometer werden. „Die Voraussetzung hierfür ist, dass nicht gespart wird“, so Bojarsky.

1,5 Millionen Euro gibt die Stadt heuer pauschal für die Radfahrer aus – eine Million weniger als die Jahre zuvor; dazu kommen allerdings Extra-Zuschüsse für größere Radweg-Projekte. „Langfristig gesehen ist es nicht klug, an der Fahrrad-Infrastruktur zu sparen“, gibt Bojarsky zu Bedenken. „Jeder Radler mehr ist ein Auto weniger. Wer den ständig zunehmenden Autoverkehr in Griff bekommen will, muss den Radverkehr fördern.“ Im Endeffekt spare man damit auch Gelder, die sonst nachträglich für den Umweltschutz ausgegeben würden. Nicht umsonst gibt es in Berlin eine Initiative „Radeln gegen Feinstaub“.

Doch nicht nur neue Radwege möchte der ADFC, der Lobbyverband der Radler möchte auch mehr Einbahnstraßen in Gegenrichtung von Radlern befahren lassen. Vor allem außerhalb des Mittleren Rings gebe es diverse Radwege, die entlang der Hauptstraßen führen. „Es wäre sicherer, die Radler auf verkehrsberuhigtere Einbahn-Strecken zu leiten“, sagt Bojarsky.

Bojarsky geht davon aus, dass in den nächsten Jahren wegen solcher Maßnahmen zehn Prozent mehr Leute radeln werden. „Umsteige-Potenzial“ vom Auto aufs Velo hätten alle, die nicht weiter als fünf Kilometer fahren müssen. „Die merken schon noch, dass sie schneller, gesünder und billiger als mit allen anderen Verkehrsmitteln ankommen.“ Doch eigentlich verfolgt Bojarsky ein noch ehrgeizigeres Ziel: „Mein Traum ist, wie in holländischen Städten 30 bis 40 Prozent aller Verkehrsteilnehmer zum ‚Aufsteigen‘ zu bewegen. Ich glaube, das ist zu schaffen.“

Dann allerdings müsse noch viel mehr für die Sicherheit getan werden, wie Stadtrat Jens Mühlhaus (Grüne) fordert: „Wir müssen mehr Geld als bisher in den Bau neuer Fahrradwege stecken. Das wäre auch gerechtfertigt: Da zehn Prozent der Verkehrsteilnehmer Radfahrer sind, wäre es nur fair, einen guten Teil der 300 bis 400 Millionen Euro, die jährlich in den Straßenbau gehen, den Radfahrern zu Gute kommen zu lassen“, sagt er. Unterstützung für seine Pläne bekomme er aus dem Stadtrat weitgehend nur „in Form von zustimmenden Sprüchen. Wenn’s ums Zahlen geht, sind alle wieder still.“

Neben einer Verbesserung und Ausweitung des Radwege-Netzes fordert Mühlhaus, der übrigens selbst bei Wind und Wetter radelt, weitere Bauten wie das Radlparkhaus an der U-Bahn-Haltestelle Kieferngarten und mehr Abstellmöglichkeiten für Fahrräder im öffentlichen Raum: „Wenn man beispielsweise in einer Geschäftsstraße einen Parkplatz streicht, könnten stattdessen sechs Fahrräder untergebracht werden“, so Mühlhaus. Dass sich dieser Vorschlag gegen die Autofahrer-Lobby nur schwer durchsetzen lässt, ist dem Stadtrat klar: „Da prallen Geisteshaltungen aufeinander.“

Weiter will Mühlhaus, die Bedingungen für die Fahrradmitnahme in öffentlichen Verkehrsmitteln verbessern und zu verbilligen. Außerdem sollen die Radwege künftig schneller gereinigt und vom Schnee befreit werden. Vorstellbar für die Zukunft seien auch reine Fahrrad-Straßen. „Da hätten Autos nichts mehr zu suchen.“

Eine Maßnahme, die laut Mühlhaus sicherlich umgesetzt wird und zwar noch vor 2008, sind bessere Hinweistafeln auf den Radwegen: „Die Mini-Schilder, die auf die Radstrecken hindeuten, sind eine Farce. Es gibt aber inzwischen bundesweit genormte, große Schilder mit gut lesbaren Kilometer-Angaben. Die werden bei uns auch eingeführt.“ Wichtiger als jede technische Finesse aber sei, dass Radfahrer die Verkehrsregeln beachten, so die Polizei: Insgesamt 2.557 Verkehrsunfälle unter Beteiligung von Radfahrern gab es 2004 in der Stadt; sechs Radfahrer kamen dabei ums Leben. „Bei der Hälfte aller Fälle war das Nichtbeachten der Verkehrsvorschriften seitens der Fahrradfahrer die Unfallursache“, heißt es im Polizeibericht. Und weiter: „Bei den sechs tödlich verlaufenden Fahrradunfällen wäre der Helm in vier Fällen vermutlich lebensrettend gewesen.“

Die Konsequenzen, die die Polizei aus diesen Zahlen zieht, ist, dass sie „weiterhin das Verhalten der Radfahrer im Verkehrsalltag genau beobachten und unfallträchtige Fehler in gesteigertem Maß ahnden wird.“ Darüber hinaus – und das wird auch Bojarsky vom ADFC freuen, werden sich die Beamten in verschiedenen Gremien für die Verbesserung der Radwegestruktur stark machen. Von Nadine Nöhmaier

Artikel vom 12.05.2005
Auf Facebook teilen / empfehlen Whatsapp

Weiterlesen





Wochenanzeiger München
 
Kleinanzeigen München
 
Zeitungen online lesen
z. B. Samstagsblatt, Münchener Nord-Rundschau, Schwabinger-Seiten, Südost-Kurier, Moosacher Anzeiger, TSV 1860, ...