Albrecht Ackerland über Maibäume

„Da schau her”

Es ist immer wieder das Gleiche: Jedes Jahr verabschiedet sich der Albrecht in der letzten Aprilwoche sang- und grußlos nach Wien. Na ja, ganz grußlos war es heuer nicht, denn gestern fand ich in der Küche unserer Altherren-WG an der Türkenstraße neben dem Herd eine Zeitung, auf die der Albrecht mit schwarzem Füller geschrieben hatte: „Bin in Wien. Wenn das Haus abbrennt, benachrichtige mich bei meiner Großtante Agathe! Grüße. Brechtl!“

Sie müssen wissen: So sehr Albrecht Ackerland Brauchtümern, speziell den bayerischen, zugetan ist, um so weniger mag er den 1. Mai. Maibäume und die dazu gehörenden Maifeste sind ihm ein Gräuel. Nicht, weil er etwas gegen den Frühling hätte oder gar plötzlich das gute bayerische Bier verschmähen würde, im Gegenteil. Seine Abneigung gegen Maibäume hat etwas mit seiner Sympathie für die Arbeiterbewegung zu tun. Zumindest behauptet er immer, dass der 1. Mai der Tag der Arbeiter sei und die Arbeiterbewegung in Wien nun mal stärker und traditioneller sei als in München und er deswegen lieber dort sei als hier.

Aber das ist nur vorgeschoben. In Wahrheit hat seine Abneigung gegen traditionelle Maifeste etwas mit einem geklauten Maibaum, seinem Kopf und einem Mädchen zu tun. Es ist nämlich so, dass der Albrecht mit 14 zusammen mit seinen Untergiesinger Freunden es beinahe geschafft hatte, den Maibaum der verhassten Obergiesinger Kollegen zu stehlen. Als es endlich soweit war, hat er sogar sein damaliges Gspusi versetzt. Alles nur, weil der Brechtl so ein großer Fan von Mai-Traditionen war. Leider hatte irgendjemand nicht richtig aufgepasst, als der Maibaum aus seiner Verankerung gelöst wurde. Oder der Albrecht selbst war mit seinem Kopf buchstäblich woanders, nämlich bei seiner Schon-Nicht-mehr-Freundin. Auf jeden Fall fiel der Baum direkt dem Albrecht aufs Bein.

Seitdem hat er nicht nur bei jedem Sturm Angst, dass ihm ein Baum auf sein Bein fallen könnte, sondern bekreuzigt sich in Gedanken vor jedem Maibaum, den er sieht. Und fährt jedes Jahr zum 1. Mai nach Wien. Ganz unbegründet ist seine Angst vielleicht nicht: Die Kollegen aus der Redaktion meinten, dass der Maibaum am Viktualienmarkt schon nach zwei Jahren ausgewechselt werden musste – wegen Einsturzgefahr.

Artikel vom 28.04.2005
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