Stadtverwaltung und Rathauspolitiker wollen Kolonie »Gnadenacker« räumen

Riem · Saubermänner in Aktion

Bald die letzte Weißwurst im Topf von Jesus (l.) und seinen Nachbarn? Rathauspolitiker aller Fraktionen wollen die »unzumutbaren« Zustände beenden. Foto: jal

Bald die letzte Weißwurst im Topf von Jesus (l.) und seinen Nachbarn? Rathauspolitiker aller Fraktionen wollen die »unzumutbaren« Zustände beenden. Foto: jal

Riem · Die fraktionsübergreifende Saubermann-Politik im Münchner Rathaus und zähe Verwaltungsbeamte scheinen einem einmaligen Obdachlosenprojekt den Garaus zu machen. Seit 1998 leben auf dem »Gnadenacker« nahe Riem 30 Menschen, haben sich aus der Obdachlosigkeit befreit und sich ein neues, ungewöhnliches Zuhause geschaffen.

Doch pünktlich zum Start der angrenzenden Bundesgartenschau (BUGA) soll das Wohnprojekt geräumt werden. Am 11. März hatte das Planungsreferat dem Gnadenacker-»Bürgermeister« Peter Kranawetvogl, alias Jesus, die Nachricht der Zwangsräumung überbracht: Bis zum 1. April muss die Bauwagenkolonie das Feld verlassen haben. Am vergangenen Freitag wurde im Stadtrat auch noch der Dringlichkeitsantrag von Christian Baretti (fraktionslos) fast einstimmig abgelehnt, mit dem der ehemalige CSU-Mann die Räumung abwenden wollte.

Jesus und seine Nachbarn wollen dieses rüde Ende nicht hinnehmen: »Wir bleiben am Gnadenacker, auch wenn die Stadt unsere Unterkünfte täglich einreißt!« Vor fast zehn Jahren hat Jesus den Verein »Ameise e.V.« gegründet – das Motto »Hilfe zur Selbsthilfe«.

Und seit Ende der 90er Jahre leben obdachlose Menschen in inzwischen 27 buntbemalten Bauwägen, viele davon Verkäufer der Obdachlosenzeitung »BISS«. Keineswegs ist jedoch die Siedlung ein wildes Gelände auf dem keinerlei Regeln gelten. Wer sich nicht an die gemeinsamen Vorschriften zu Hygiene, Alkoholkonsum oder anderen Dingen hält, muss gehen. »Wir haben auch schon mal jemanden vom Acker geschickt, weil er einem von uns die Freundin ausspannen wollte«, erzählt Peter Kranawetvogl. Auch von den Anwohnern werden die »Ameisen« akzeptiert, laut Jesus sogar »geliebt«.

Keine Liebe gibt es dagegen vom Planungsreferat und dem Münchner Stadtrat: »Das ist doch keine anständige Siedlung, das ist unzumutbar«, behauptet etwa Gisela Oberloher, sozialpolitische Sprecherin der CSU. Und sogar die einst so alternativen Grünen haben gegen Barettis Antrag gestimmt, auch wenn ihnen die Entscheidung »gerade als Grüne« reichlich schwer gefallen sei, so Sigi Benker, Vorsitzender der grünen Stadtratsfraktion. Er selbst habe sich selbst jahrelang um solche Projekte bemüht und findet, »dass durchaus nicht immer alles aufgeräumt und geschleckt« sein müsse. »Aber während der Diskussion um den Acker hat sich viel in die falsche Richtung entwickelt«, begründet er die Entscheidung der Grünen.

Die Stadt führt als Gründe für die Räumung mangelnde hygienische Zustände und vor allem unzureichenden Brandschutz an, nennt die Siedlung wegen einer fehlenden Baugenehmigung »rechtswidrig«. Dass der Brand am Gnadenacker im Januar Brandstiftung war, bei dem Feuer niemand verletzt wurde und sogar die Branddirektion des Kreisverwaltungsreferats keine unkalkulierbare Gefahr bei Bränden sieht, wird nicht erwähnt. Selbst die »Arbeitsgruppe Obdachlosigkeit« des Sozialreferats findet das Projekt der Münchner »Ameisen« wenig sinnvoll.

Sie möchte Obdachlosen lieber Unterkünfte bieten, die »rechtlich vertretbar und gesellschaftlich verträglich sind«, so Gertrud Walter, die Vorsitzende der Arbeitsgruppe. Die Tatsache, dass die Bauwagenkolonie direkt an das Gelände der BUGA angrenzt, spielt dabei wohl auch eine nicht zu unterschätzende Rolle, wie trotz aller gegenteiliger Beteuerungen der Termin nahe legt. »Ich finde es gemein, den Brand als Grund für die Räumung zu nennen und zu behaupten, das Ganze hätte mit der BUGA nichts zu tun«, ärgert sich Peter Kranawetvogl, der sich das Leben neben der Gartenschau anders vorgestellt hat.

Gerne hätten die Menschen vom Gnadenacker kleine Jobs auf der Messe verrichtet, sie hätten ihr Gelände schön hergerichtet oder wären sogar für die Zeit der BUGA von ihrem Platz weggezogen.

Jetzt sollen die Obdachlosen aber in eine Notunterkunft in der Leibingerstraße umziehen – diese Idee gefällt den Menschen vom Gnadenacker nicht: »Bettplätze gibt es auch in Stadelheim«, ist ihre Einstellung zum neuen Quartier. Aufgeben wollen Jesus und seine Freunde aber noch lange nicht, sie wollen vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gehen, »denn wir kämpfen nicht gegen Verwaltungsrechte, sondern für Menschenrechte, für unser Recht zu leben. Und die Geranien von der BUGA sollen sich schämen!« Janina Lichnofsky

Artikel vom 22.03.2005
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