Albrecht Ackerland über Senioren-WGs

„Da schau her“

Alle reden auf einmal von Senioren-WGs und neuen Wohnkonzepten für Ältere und was weiß ich noch alles. Als ob es neu ist, dass Menschen irgendwann alt sind und trotzdem nicht gleich sterben, also weiter irgendwo wohnen müssen. Das Problem am Altsein ist ja bekanntlich, dass nicht mehr alles so gut funktioniert – die Finger, die Hüfte, das Hirn.

Das mit dem Hirn merke ich jetzt schon, obwohl es bei mir noch einige Zeit dauert, bis ich das Alter erreicht hab, in dem ich eigentlich eine Rente hätte bekommen sollen.

Wie Sie vielleicht mitbekommen haben, hab ich gerade eine WG mit meinem Kollegen Luca gegründet, um mich schon mal an eine Senioren-WG zu gewöhnen.

Ein Grund dafür war sicherlich, dass mein Hirn manchmal ein bisserl länger braucht, und das vom Luca sowieso. Wenn dann die ersten Gebrechen losgehen, dann holen wir uns einen Studenten und starten eine Symbiose, eine Gemeinschaft mit gegenseitigem Nutzen.

Die schaut dann so aus: Der Student muss unsere Honorare für die Texte in Apotheken- und Seniorenmagazinen und Gedichtbänden eintreiben, muss uns den Rotwein und den sonstigen Einkauf heim tragen, muss das Frühstück bereiten, muss Anrufe beantworten oder Anrufer abwimmeln, und ein bisserl putzen muss er auch. Dafür bekommt er umsonst ein Kammerl und er darf drei Abende mit uns im Wohnzimmer am Kamin verbringen, unseren sehr weisen Gesprächen lauschen und wertvolle Ratschläge erhält er auch. Dafür reicht unser Hirn noch leicht.

Allerdings werden wir nicht jeden nehmen: Wir nehmen nur angehende Sozial- oder Geisteswissenschaftler, allerdings keinesfalls Lehramts- und Philosophiestudenten, die sind zu g’schaftig, das sind wir selbst schon genug. In Frage kommen außerdem noch Mediziner – nach dem Vorbild meiner Großtante Betzi aus Wien.

Sie erlag zwar leider schon vor Jahren einer rätselhaften Vergiftung. Bis dahin aber war sie bumperlg’sund – dank der Medizinstudenten, die sie als Zimmerherren bei sich in ihrer Herrschaftswohnung an der Volksoper beherbergte. Keiner von ihnen musste Miete bezahlen, dafür mussten sie der Betzi mit medizinischem Rat beistehen, ihre ständig wechselnden und fadenscheinigen Zipperlein diagnostizieren und ihren hypochondrischen Glauben entkräften, sie sterbe sicherlich noch in dieser Nacht. Das Ganze ging zwanzig Jahre lang. Sie nahm sogar einige Freundinnen in ihre Wohnung auf, die aber immer ziemlich bald von der Jammerei Betzis völlig entkräftet verstarben. Die Medizinstudenten konnten dafür überhaupt nichts.

So ähnlich jedenfalls machen wir das auch, der Luca und ich. Nur müssen wir aufpassen, dass wir die Studenten mit unserem Geplapper nicht völlig entkräften. Die sterben dann zwar sicherlich nicht weg – aber wegziehen könnten sie.

Artikel vom 03.03.2005
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