Die Zahl der Menschen ohne Wohnung geht zurück

Wohnung statt Notquartier

Längst ist es eisig kalt. Die Wintermonate sind die schlimmste Zeit für Menschen ohne Wohnung. Zwar drückt sicherlich auch im Sommer den Betroffenen die Obdachlosigkeit schwer aufs Gemüt. Zumindest aber bleibt dabei der Körper weitgehend unversehrt. Auch nachts sinkt die Temperatur nicht so stark, dass – wie zurzeit – Erfrieren droht.

Erwin, 48 Jahre, rutschte schon vor Jahren ab, verlor erst seine Arbeit, dann seine Wohnung, begann zu trinken. Eine klassische „Karriere“, wie auch der schillernde Münchner Modemacher Rudolph Moshammer weiß.

Dem „SamstagsBlatt“ erzählte er mit belegter Stimme von seiner Familie: „Mein Vater war ein sehr vermögender Mann, er war Direktor der Württembergischen Feuerversicherung. Doch dann rutschte er ab, begann zu trinken und wurde obdachlos. Das ist auch der Grund, warum ich mich so für obdachlose Menschen engagiere. Meistens sind das weichherzige Menschen, zu Weichherzige. Sie können Stress, vor allem den wirtschaftlichen Stress nicht so leicht aushalten. Dann geht’s bergab.“

Auch Erwin ist ein weichherziger Mensch: „Ich will keinem etwas Böses, ich liebe Gemeinschaft, und die gibt’s in den Heimen meistens nicht.“ Sehr aggressiv ginge es da oft zu, deshalb sei er auch am liebsten immer unter den Brücken gewesen, hat „auf Platte gemacht“, und dabei auch neue Freunde gefunden. Zu den alten sei der Kontakt längst gerissen: „Die wollen mit einem Sandler wie mir nix zu tun haben. Manchmal, so wie jetzt beim Christkindlmarkt, treffe ich zwar welche. Die spielen dann den Besinnlichen, ist ja bald Weihnachten, und geben mir einen Fünfer. Dann schauen sie aber immer schnell, dass sie weiterkommen.“

Im nächsten Jahr stehen für Erwin aber große Neuerungen an: Er will anfangen, bei BISS zu arbeiten, der Zeitschrift für „Bürger in sozialen Schwierigkeiten“. Vor allem aber wird er, wenn alles gut läuft, bald wieder eine eigene Wohnung beziehen, zusammen mit zwei „Kollegen“, mit Rainer und Karl.

Genau das ist auch Wunsch der Stadt: Möglichst viele der Obdachlosen sollen wieder in festen Wohnungen unterkommen. Damit soll auch die Zahl der Nutzer von Notunterkünften weiter verringert werden. Diese Nutzer wurden tatsächlich weniger, wie Sozialreferent Friedrich Graffe jüngst bekannt gab: „Derzeit leben 2942 Personen in städtischen Notquartieren und Pensionen. Das sind 645 Menschen weniger als noch Anfang des Jahres.“ Ein Grund für den Rückgang: Immer mehr Obdachlose können wieder in festen, eigenen Wohnungen untergebracht werden – sie bekommen wieder ein echtes Obdach.

„Auch mein Vater rutschte ab.“ Rudolph Moshammer

Vor allem eine neue Organisation im Amt für Wohnen und Migration zeigt sich verantwortlich für diese Entwicklung – die „Zentraleinheit Wohnungslosigkeit“ (ZEW). Sie biete nach Angaben von Graffe „Hilfe aus einer Hand“.

Obdachlose bekämen Geld, Hilfe bei der Arbeitsvermittlung, Betreuung und Unterstützung bei der Suche nach einer Wohnung. Viel leichter sei es geworden mit den Wohnungen, was vor allem am verstärkten Bau mit städtischer und staatlicher Förderung liegt.

Die Zahl der geförderten neuen Wohnungen ist von 2003 auf 2004 um 40 Prozent gestiegen, ganze 1114 waren es heuer. Parallel dazu hat sich der Mietmarkt weiter leicht entspannt: Nach Berichten des „Rings Deutscher Makler“ sank der Mietpreis in München seit 2002 um immerhin vier Prozent, zurzeit kostet der Quadratmeter etwa 11 Euro.

An die ZEW hat sich auch Erwin gewandt: „Das ist sauschwierig irgendwie aus dem ganzen Schlamassel wieder rauszukommen. Das ist alles so ein blöder Kreislauf, du meinst, du derrappelst dich grad, aber dann geht’s doch nicht anders und du musst ins Pilgersheimer für ein paar Nächte.“ Für Erwin scheint es nun besser zu laufen, in das von ihm wenig geliebte Wohnheim braucht er bald nicht mehr zurückkehren.

Könnte er auch gar nicht: Das stadtbekannte Notquartier an der Pilgersheimerstraße in Untergiesing wird zum Jahresende geschlossen, genauso, wie auch schon im laufenden Jahr acht weitere der Häuser dichtmachten. Vielleicht können bald noch mehr schließen, weil noch mehr Menschen wieder in ihren eigenen Wohnungen untergebracht werden können. Und weil diese Menschen auch wieder in Richtung eines normalen Lebens gehen können, etwa durch Projekte wie das BISS-Magazin. Gerade wurde es auch grafisch umgestaltet.

Hildegard Denninger, die Geschäftsführerin, freut sich: „Ordentlich waren wir zwar auch die letzten acht Jahre – solange gibt es das monatlich erscheinende Heft schon. Jetzt kommen wir aber viel schöner daher, richtig gut gefällt uns das Ganze jetzt.“ Vielleicht darf sich ja auch bald Erwin freuen, weil er einige der 35.000 Hefte selbst verkauft hat. Von Albrecht Ackerland

Artikel vom 16.12.2004
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