Eine Ausstellung über sexuellen Missbrauch

„Rosarote Wahrheit“

Erkennungszeichen eines gut gekleideten Mannes und Zeichen der Scheinheiligkeit: Die rote Krawatte.	Foto: sos

Erkennungszeichen eines gut gekleideten Mannes und Zeichen der Scheinheiligkeit: Die rote Krawatte. Foto: sos

„Mama, komm erzähl mir von der Scham. Mama, komm erzähl mir wie er dich weggeschoben hat“, flüstert eine vorsichtige Mädchenstimme. Ganz leise dringen die Worte des Mädchens in das Ohr des Zuhörers - aus einem großen Schallrohr. Einer Flüstertüte.

Die Flüstertüte ist eine Installation der Ausstellung „Was sehen Sie, Frau Lot?“, die noch bis zum 5. Dezember im Aktionsforum Praterinsel stattfindet.

Mit künstlerischen Mitteln setzen sich drei Bremer Künstlerinnen mit der Wut und Verzweiflung von Mädchen und Frauen auseinander, die Opfer von sexuellen Übergriffen und Gewalt geworden sind.

Damit rücken sie ein Thema in den Blickpunkt, das zwar oft in den Medien auftaucht, aber meist ebenso schnell wieder verschwindet: Zu viel Angst und Ratlosigkeit sind mit der Problematik verbunden. Jahrelange Aufklärungsarbeit gegen sexuelle Gewalt hat zwar dazu geführt, dass Betroffenen heute weitgehend Glauben geschenkt wird und Täter zur Rechenschaft gezogen werden. Aber die vereinzelten Fälle, die an die Öffentlichkeit gelangen, sind nur die Spitze des Eisberges.

Das wollen Renate Bühn, Maria Mathieu und Heike Pich ändern: Sie wollen aufrütteln, konfrontieren, hinschauen. Dem Schweigen ein Ende setzen. Dieses Anliegen vertreten auch die Veranstalter - das Kulturreferat München gemeinsam mit dem Münchner „Bündnis gegen Männergewalt“. Schirmpatinnen der Ausstellung sind Bürgermeisterin Gertraud Burkert und die evangelische Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler. Unterstützt wird das Projekt vom Münchner Umwelt- und Gesundheitsreferat und dem Aktionsforum Praterinsel.

Mit dem Titel „Was sehen Sie, Frau Lot?“ knüpfen die Künstlerinnen an eine biblische Geschichte an. Lot, der Neffe Abrahams, wird laut dem Alten Testament nach dem Verlust seiner zur Salzsäule erstarrten Frau zum Stammvater zweier Geschlechter, indem er auch mit seinen beiden Töchtern Nachkommen zeugt. Frau Lot wird zum Ausgangspunkt für die künstlerische Auseinandersetzung mit sexuellem Missbrauch.

„Wir präsentieren unsere Arbeiten zum Thema ‚sexuelle Gewalt’, weil wir glauben, dass Kunst auch den Auftrag hat, mit großer Genauigkeit und Ernsthaftigkeit sichtbar machen, was zu leicht und zu gern übersehen wird“, erzählen die Künstlerinnen. Die Normalität der Gewalt, die Verletzungen, aber auch die Stärke der Betroffenen würden in der Gesellschaft zu oft übersehen.

Täter würden sich noch immer in der Sicherheit gesellschaftlichen und familiären Schweigens wiegen. Von 2000 sexuellen Gewalt-Tätern werden durchschnittlich 100 angezeigt - nur zwei davon werden letztendlich zu einer Haftstrafe verurteilt.

Für die Anzahl der Täter hat Renate Bühn 2000 Krawatten gesammelt und mit einem Pinsel rosarot übermalt. Die Krawatten sind für die Künstlerin nicht nur „Erkennungszeichen des gut gekleideten Mannes, sondern auch Zeichen der Scheinheiligkeit, des Vertuschens.“ Sie konfrontiert männliche Macht mit mädchenhafter Unschuld. „Rot steht als Symbol für Gewalt. Weiß ist die Farbe der Unschuld und Sauberkeit. In Rosa vereinen sich beide“, erklärt Bühn. Die Farbe Rosa erweckt Erinnerungen an Zartheit, Mädchenhaftigkeit – ein Symbol für die scheinbar rosarote Mädchenzeit.

Die Ausstellung möchte aber nicht nur aufrütteln, sondern auch Mut machen. Die Betroffenen sollen sich auf die Suche nach der eigenen Wahrheit machen. Deswegen ist die Ausstellung an zwei Tagen nur für Frauen geöffnet: Am Sonntag, den 21. November, ganztägig, sowie am Donnerstag, den 2. Dezember, zwischen 12.30 und 18.00 Uhr. Zur Ausstellung gibt es ein umfangreiches Begleitprogramm, das sich vertieft mit der Problematik auseinandersetzt.

Fast täglich finden Führungen, Vortrags- und Diskussionsabende statt. Außerdem stellen sich dabei 24 Münchner Organisationen, Hilfeeinrichtungen und Selbsthilfegruppen vor.

Reguläre Öffnungszeiten der Ausstellung auf der Praterinsel sind täglich, außer Montag, von 10.00- 20.00 Uhr, der Eintritt ist frei. Zur Ausstellung gibt es vor Ort einen Katalog (21 Euro).

Von Sophia Seiderer

Artikel vom 25.11.2004
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