Blinde können die Stadt künftig ertasten: Messing-Modell vor der Frauenkirche

München zum Anfassen

Im Maßstab 1:500 kann ab sofort München ertastet werden.	Foto: ras

Im Maßstab 1:500 kann ab sofort München ertastet werden. Foto: ras

Altstadt · Gerda Kloske-Schindelbeck kann ihre Begeisterung kaum zügeln. »Hier ist ja der Loden-Frey, und dort, die Straße entlang, geht es zum Polizeipräsidium«, freut sich die gebürtige Münchnerin, während sie mit ihren Fingern die kleinen Messing-Gebäude mit den winzigen Türen und Torbögen abtastet. In ihre Augen tritt ein warmer Glanz. »An dieser Ecke ist mein Friseur!«, ruft sie.

Gerda Kloske-Schindelbeck ist seit ihrer Geburt blind. Doch in ihrer Heimatstadt macht ihr so schnell keiner was vor, da weiß sie besser Bescheid als so mancher sehender einheimischer Zeitgenosse. Und zum ersten Mal in ihrem Leben kann sie sich jetzt eine Vorstellung von den Formen der Häuser und Straßen machen, die sie von Kindesbeinen an kennt.

Dank eines Messing-Modells der Münchner Innenstadt haben die rund 9.000 in München lebenden Sehbehinderten und Blinden ab sofort die Möglichkeit, ihre Stadt in Miniatur zu ertasten.

Die gusseiserne Nachbildung der Altstadt im Maßstab 1:500 ziert seit Mittwoch auf einem steinernen Sockel den Frauenplatz – zur Freude nicht nur der Betroffenen, sondern vor allem der Stadträtin Gisela Oberloher (CSU), die das Projekt ins Leben gerufen hat. »Vor einem Jahr habe ich den Antrag gestellt, ich war selber überrascht, wie schnell das dann ging«, freute sie sich bei der Einweihung. Ihre größte Sorge war, die gut 25.000 Euro für das Modell aufzubringen. »Die Stadt hat ja dafür kein Geld.«

Doch durch Spendengelder ließ sich das Vorhaben schließlich realisieren. Eine kaum vorstellbare Arbeit hat der Bildhauer Egbert Broerken geleistet. Mehrere Monate lang hat er die Häuser, Kirchen und öffentlichen Einrichtungen inspiziert, sie im wahrsten Sinne des Wortes abgeklopft und dann in Gusseisen gegossen. Ein besonders harter Brocken sei die Theatinerkirche mit ihren üppigen Formen und reichhaltigen Verzierungen gewesen.

Teilweise ist Broerken sogar auf einzelne Gebäude hinauf geklettert, hat Hunderte von Fotos gemacht, um die Strukturen genauestens zu erfassen. »Ich musste ja jedes Haus von allen Seiten kennen«, verrät der Künstler. Seit Mai arbeitete er dann fast rund um die Uhr an dem Objekt. Die Häuserformen sind nicht nur akribisch genau nachgebildet, sondern auch mit einer Blindenschrift versehen, die Auskunft über die Gebäude geben.

Das Ergebnis war auch für ihn selbst eine Überraschung: »Gestern waren noch die Lastwagen und Kräne hier, jetzt steht das Modell da.« Gerührt ist er auch über die Anteilnahme der Münchner Bürgerinnen und Bürger. »Das Schöne ist, dass es zum Gespräch zwischen Blinden und Sehenden kommt.« Aus diesem Grunde hat er das Modell auch »München zum Sehen und Anfassen« getauft. Rafael Sala

Artikel vom 11.11.2004
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