Kritik an bayerischer Bildungspolitik. Schulministerin Hohlmeier: Panikmache

„Kein Konzept“

Die Wellen schlugen hoch in der Aktuellen Stunde des Bayerischen Landtags am vergangenen Dienstag. Und das Desaster war perfekt – aus Sicht der Oppositionsparteien jedenfalls. So hatte vor wenigen Tagen das Michaeli-Gymnasium wegen akuten Lehrermangels Eltern angeschrieben und sie gebeten, im Unterricht einzuspringen.

In einer Dringlichkeitssitzung, die SPD und Bündnis 90/Die Grünen beantragt hatten, warfen sie nun Kultusministerin Monika Hohlmeier (CSU) Versagen in der Bildungspolitik vor.

Tenor: Es dürfe nicht sein, dass Tausende junger ausgebildeter Lehrer auf der Straße stehen, gleichzeitig aber Eltern an den Schulen als „mobile Reserve“ eingesetzt werden.

Die Eltern dürften nicht schlecht gestaunt haben, als sie die Briefkästen öffneten und die Post mit dem ungewöhnlichen Ansinnen darin vorfanden. Für die Oppositionsparteien im Landtag jedenfalls war diese Aktion Beweis genug, dass im Kultusministerium wieder einmal nichts stimmte.

Sie überzogen Hohlmeier geradezu mit Kritik, SPD-Fraktionschef Franz Maget bezichtigte sie der „Realitätsferne“. Die Debatte sollte hitzig werden. „Kein Konzept, kein Personal, kein Geld“: Unter diesem Schlagwort griff die bildungspolitische Sprecherin der Grünen, Simone Tolle, die Kultusministerin scharf an. An allen Ecken und Enden fehle es beim G8, dem neuen achtstufigen Gymnasium, an Lehrerinnen und Lehrern, schimpfte Tolle. Sie berief sich auf eine Studie des Bayerischen Philologenverbandes, der zufolge 1.500 Unterrichtsstunden an diesen Schulen nicht abgedeckt sind. Zudem fallen nach Angaben des Verbandes über 700 Stunden Pflichtunterricht pro Woche aus. Besonders betroffen sind die Fächer Mathematik und Latein. „Die Schulen fahren am Limit“, zog Tolle Bilanz.

Maget indes kritisierte, dass „in der bayerischen Schulpolitik der Rotstift regiert“. Immer weniger Personal für immer mehr Schüler bei einem drastisch steigenden Arbeitspensum – das sei nicht länger zu akzeptieren. Er verwies darauf, dass die Klassen immer größer würden. „Und sie sind zu groß, das kann niemand bestreiten.“ So habe man an den Realschulen im Schnitt 29 Kinder. An den Gymnasien seien es „Hunderte von Klassen“, die über 37 Schüler hätten. Dem stehe aber eine Kürzung von 1.200 Lehrern im kommenden Haushaltsplan gegenüber. Nur das beherzte Engagement von Eltern könne derzeit noch einen weitgehend reibungslosen Ablauf des Schulbetriebes gewährleisten. Maget sprach von einer „bildungspolitischen Bankrotterklärung“ sondergleichen.

Die Kultusministerin ließ mit einem Gegenangriff nicht lange auf sich warten. „Ich glaube, die Bildungspolitik müsste einmal bei Ihnen ansetzen“, sagte sie zu Maget. Die „persönlichen Beleidigungen“ des SPD-Vorsitzenden könnten jedoch nicht darüber hinweg täuschen, dass er schlichtweg keine Argumente habe. Maget könne es wohl „einfach nicht fassen, dass das achtjährige Gymnasium funktioniert.“ Sie räumte indes ein, dass die Situation an den Schulen noch „nicht idyllisch ist“.

Die Bildungspolitik Bayerns sei aber so vorbildlich wie in keinem anderen Bundesland, versicherte sie – und erntete mit dieser Aussage heftigen Beifall auf der einen, großes Gelächter hingegen auf der anderen Seite. Dank 410 zusätzlicher Stellen und der Arbeitszeitverlängerung im öffentlichen Dienst würden im laufenden Schuljahr wöchentlich 40.000 Unterrichtsstunden mehr abgeleistet als im vergangenen Jahr.

Auch Berthold Rüth (CSU) ging in die Offensive und war sichtlich darum bemüht, Eltern die Angst um eine angemessene Betreuung ihrer Kinder zu nehmen. Er betonte, dass niemand so viele Lehrkräfte eingestellt habe wie der Freistaat in den vergangenen sechs Jahren. Gerhard Waschler (CSU) ging noch weiter: Seinen Äußerungen zufolge seien die Steigerungsraten im Bildungsbereich sogar „auf ein Rekordniveau“ gelangt. Ein Zuwachs von 4,3 Prozent sei in diesem Sektor im Doppelhaushalt erreicht worden.

Die Kultusministerin betonte weiter, dass Bayern Sprachlernklassen ausgebaut habe „wie in keinem anderen Land“. Hohlmeier kritisierte, dass sich der SPD-Fraktionsvorsitzende bei seinen Zahlen auf längst veraltete Daten berufe, sie stammten noch aus den Jahren 2001 und 2002. Zugleich verteidigte sie das Vorgehen der Gymnasien, Eltern als Ersatz für erkrankte Lehrkräfte zu gewinnen. „Wenn die Schulen vor Ort diejenigen Regelungen treffen, die sich bei ihnen anbieten, halte ich das für sinnvoll.“ Was Maget betreibe, wertete Hohlmeier als „Panikmache auf dem Rücken der Kinder“.

„Die Unterrichtssituation an Bayerns Schulen hat sich im neuen Schuljahr insgesamt verbessert“, sagte auch CSU-Fraktionschef Joachim Herrmann. So seien die Unterrichtspflichtstunden von 23 auf 24 Stunden angestiegen. Das G8 wertete er als „vollen Erfolg“. So hätten sich nach Einführung dieses neuen Schultyps über 3.000 Schüler mehr als geplant dafür angemeldet. Von Rafael Sala

Artikel vom 21.10.2004
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