Münchens „Neue Mitte“ bietet Nachtleben mit Anspruch

Tanzen bis der Morgen graut

Vor zehn Jahren begann die Welle nach Berlin loszuschwappen. Viele der kreativen, jungen Münchner, die sich nicht im Flussbett des Massenstroms sahen, zogen an die Spree. Sie hatten genug von berühmt-berüchtigten Hallen-Raves im alten Riemer Flughafen in denen sich Tausende Clubgänger drängten.

Ohrenbetäubend lauter, musikalisch anspruchsloser Techno versetzte dort die Menge in Ekstase. Immerhin, München war berühmt: Die halbe Welt sprach von München und seinem Hallenphänomen.

Inzwischen gibt es an der Isar diverse neue Hallen, von Ballhaus bis 4004, dazu zwei Clubareale und ein neues ist in Planung. Die CSU-Stadträte Richard Quaas und Andreas Lorenz sahen sich kürzlich gar zu einer Anfrage gezwungen, ob es „zu viele Clubs, Hallen und Locations“ in München gebe.

Die Politiker hatten dabei wahrscheinlich nur die bekannten „Locations“ im Auge, dabei hat München mittlerweile viel mehr zu bieten, als Hallen-Raves. In der ganzen Innenstadt wachsen kleine, feine Clubs und Musikbars mit anspruchsvoller, ungewöhnlicher Musik. So wie vor zehn Jahren in Berlin.

Damals herrschte dort das „alles-ist-möglich“-Gefühl. Lokale öffneten in leerstehenden Gebäuden, schlossen nach kurzer Zeit wieder, um einen Block weiter wieder aufzusperren. Kunst, Subkultur und popmusikalischer Untergrund aller Schattierungen hatten ihren Raum. So viel Raum, dass die buchstäbliche Selbstverwirklichung der einzelnen Macher kein Traum mehr zu bleiben schien. Die Stimmung in der neuen Hauptstadt roch nach Aufbruch. Das war der Grund, warum so viele dorthin zogen. Aus den Dörfern und Städten Deutschlands und eben auch aus München.

Anklang fand das Münchner Hallen-Ding dagegen bei den reinen Konsumenten. Die Masse hinterfragt nicht. Denen, die sich für Musik interessierten, die nicht aus allen Radios dudelte und auch nichts mit Rave-Sound zu tun hatte, denen wurde München zu uninteressant. Die große Zeit des umtriebigen Schwabings etwa war seit Jahrzehnten vorbei, und ein neues nacht-kulturelles Kleinklima wollte sich einfach nicht abzeichnen. Die Innenstadt war abends tot, Spannendes und Neues musste mit der Lupe gesucht werden und fand meist in Läden am Stadtrand statt. Die Hallen in Riem schlossen, doch auch das Nachfolgeprojekt, der so genannte Kunstpark Ost, hielt nicht das, was sein Name versprach. Immer öfter hörte man jetzt: „Ich gehe nach Berlin!“

Herbst 2004: Massenabfertigung gibt es immer noch, Vorreiter ist derzeit das vor einem Jahr eröffnete „4004“: Auf knapp 3.000 Quadratmetern werden die Massen durch die fünf Areas geschleust, beschallt mit gefälliger Partymusik. Den Kunstpark gibt es immer noch, er heißt inzwischen „Kultfabrik“ und tut sich immer noch schwer an die Erfolge seines legendären Vorgängers anzuknüpfen. Gleich benachbart hat „Hallenguru“ Wolfgang Nöth das Optimol-Gelände zu seinem Nachtclub-Areal ausgebaut. Die dort beheimateten Clubs wie „Milchbar“ oder „K41“ laufen gewohnt gut, von Kult oder gar Kultur allerdings kann auch hier nur schwerlich gesprochen werden.

In Planung ist ein weiteres Nöth-Projekt, der „Kunstpark Nord“ am neuen Stadion in Fröttmaning. Momentan sorgt sich jedoch die CSU im Stadtrat, ob bei dieser Maßnahme nicht eine versteckte Wirtschaftssubvention seitens der Stadt geleistet wird. Sie glauben, dass Nöth das Gelände zu billig bekommt.

Es geht aber auch ohne Parks. Seit mindestens einem Jahr brodelt in der Innenstadt eine kleine, umtriebige und abseits des Massengeschmacks angesiedelte Clubszene. Stadtrat Nikolaus Gradl (SPD) freut sich darüber: „Es stimmt zwar, dass massiv Flächen dazukamen, aber ich finde, Konkurrenz belebt das Geschäft. Vor allem die vielen neuen kleinen Clubs in der Innenstadt halte ich für eine Bereicherung. Es zählen wieder andere Dinge als laute Musik und Alkohol.“

Laute Musik und alkoholische Getränke bleiben wohl ein Beweggrund für die Menschen, nachts auszugehen.

Neuerdings lässt sich das eben wieder innerstädtisch erledigen. Und die Musik in diesen neuen Läden ist nicht nur laut, sondern anspruchsvoll. „Registratur“ an der Blumenstraße nennt sich einer dieser neuen Clubs. Betrieben wird er von dem Architekten David B. Walker und dem Metallbildhauer Sebastian Kruse. „Von 4004 und Co. unterscheidet uns zuerst mal unsere zeitliche Befristung. Maximal noch fünf Jahre wird es uns geben, dann wird das Gebäude, in dem wir sind, generalsaniert. Im Programm haben wir grundsätzlich keinen Mainstream, sondern wir buchen jeden Tag spezielle Künstler, DJs, Bands und Live-Acts“, erklärt Kruse. Er und sein Partner seien zwar „alte Rock’n’Roller, musikalisch gehe es aber in die elektronische Richtung: „Wir wollen Musik, die nicht im Radio läuft, also die von unabhängigen Plattenfirmen. Diesen Indie-Gedanken wollen wir fördern, und dementsprechend ist auch unser Publikum. Nicht so ganz jung, also zwischen 22 und 40. Wir wollen die Kreativen, und die sammeln sich nun mal in der Innenstadt, und in Läden, wo etwas passiert.“ Und von diesen „es-passiert-was-Läden“ gibt es noch einige mehr. Ob „Café am Hochhaus“ an der Blumenstraße, „K&K“ an der Reichenbachstraße oder „Cord“ an der Sonnenstraße - in all diesen Lokalen trifft sich ein buntes Völkchen aus Künstlern, Musikern, Grafikern oder sonst wie Kreativen, gemeinhin als Szenegänger bezeichnet. Man feiert: die Zeit, München, neue Musikströmungen, Zurückgekehrte aus Berlin oder einfach nur sich selbst. Und das alles immer völlig unaufgesetzt. Das vielgehasste und vielgepflegte Munich-chique-Gehabe lässt sich nirgends spüren. Man mag München und ist froh hier zu sein.

So auch in der „Ersten Liga“. Das Lokal war einer der Vorreiter für Münchens „Neue Mitte“. Bald feiert der kleine Kellerclub an der Hochbrückenstraße nahe des Tals Dreijähriges. Die Tür ist mitunter hart, doch das liegt nur an der begrenzten Räumlichkeit. „Grundsätzlich kann jeder rein. Klar soll unser Publikum Stil haben. Aber Stil kann auch eine zerrissene Jeans sein. Hauptsache die Leute sind cool, haben Spaß und schätzen, was wir da unten machen.“ So beschreibt Marc Deininger, einer der beiden Macher die Club-Politik. Gemacht wird „da unten“ viel, etliche große Leuchtkästen werden von wechselnden Künstlern bestückt, das DJ-Booking ist mehr als ausgewählt. Deininger: „Manchmal ist es schon Wahnsinn. Wir buchen da DJs rein, die woanders Hallen füllen könnten. Aber genau so wollen wir es – hohe Qualität in relativ privatem Rahmen.“ Auch musikalisch spielt die „Erste Liga“ eine Vorreiter-Rolle: Stile und Genres werden vermischt, alles ist möglich.

Das Publikum freut sich und genießt: Denn die die Stimmung ist frisch, die Szenen vermischen sich – ob HipHop, Rock oder Electro - und es entsteht das vielbeschworene Neue. Dass die Drinks im Kellerclub zu den besten der Stadt zählen, das leistet sein Übriges. Münchens Neue Mitte rockt. Von Albrecht Ackerland

Artikel vom 07.10.2004
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