München wieder im Ausnahmezustand: Das Oktoberfest beginnt

Hendl, Holzmichl, Heiterkeit

Seit Wochen schon lässt sich bei den Münchnern eine Stimmungsveränderung bemerken: Die Menschen bekommen mehr und mehr Lust auf das Oktoberfest. Am heutigen Samstag, punkt 12 Uhr, haut OB Christian Ude wieder auf den Zapfhahn, traditionell im Schottenhamel-Festzelt, und traditionell schaut ihm die Welt dabei zu. Auf geht’s zur 171. Wiesn!

1810 heiratete Kronprinz Ludwig, der spätere Ludwig 1., die Prinzessin Therese von Sachsen-Hildburghausen. Beendet wurden die fünftägigen Feierlichkeiten am 17. Oktober mit einem Pferderennen auf einer Wiese am damaligen Stadtrand.

Zu Ehren der Braut wurde die Festwiese „Theresens-Wiese“ genannt. Dieses Pferderrennen fand einen solchen Zuspruch bei der Bevölkerung, dass es auch in den folgenden Jahren wiederholt wurde, und immer wieder zur gleichen Zeit. Die „Oktober-Feste“ entstanden. 1811 kam zum Pferderennen das erste Landwirtschaftsfest hinzu.

Während das Rennen als ältester Veranstaltungsteil nach 1938 aus organisatorischen Gründen von der Wiesn verschwand, findet das „Bayerische Zentral-Landwirtschaftsfest“ (ZLF) noch heute im Turnus von vier Jahren im Südteil des Areals während des Oktoberfestes statt. So auch heuer wieder – das Oktoberfest wird zur so genannten „Kleinen Wiesn“.

Und doch bleibt das Fest auch heuer das weltgrößte seiner Art. Die Zahlen und Dimensionen sind wie gewohnt enorm: 8.000 fest angestellte und 4.000 wechselnde Arbeitskräfte verdienen ihr Geld auf der Wiesn. Rund 100.000 Plätze gibt es in den sieben Festhallen und ihren Gärten.

Auf 720 Metern können sich Männer im Stehen Erleichterung verschaffen. Über sechs Millionen Mass Bier werden vermutlich wieder getrunken, knapp eine Million halbe Hendl und über 90 ganze Ochsen verspeist. Das Fremdenverkehrsamt gibt den Wirtschaftswert des Oktoberfestes für München mit 954 Millionen Euro an. Ob auf der Wiesn selbst, ob im Taxi, Hotel oder in Geschäften und Restaurants – vor allem die Touristen machen das Oktoberfest zu einem der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren der Stadt.

Doch nicht nur die Auswärtigen kommen immer wieder gern, und nehmen nicht selten dafür extra ihren Jahresurlaub. Für viele Münchner ist die Wiesn der Höhepunkt im Jahr, manche sprechen gar von einer Nach-Wiesn-Depression. Die aber droht erst in gut zwei Wochen. Jetzt freuen sie sich erst einmal auf Bier und Brezn, auf Gewohntes und Neues.

Die Jüngeren und Wilden fiebern jedes Jahr aufs Neue den Fliehkraftspäßen entgegen. Heuer heißt das modernste Wahnsinnsgerät „Cyber Space“: Acht Wagemutige sitzen Rücken an Rücken in einer Gondel am langen Arm eines Pendels. Langsam schwingt die Gondel nach rechts und links, immer schneller wird diese Bewegung, bis die maximale Höhe erreicht wird. In diesem Moment kann die Gondel rund 50 Meter über dem Boden Loopings vollführen oder wahlweise die Fahrgäste kopfüber nach unten fallen lassen, das Pendel erreicht dabei Geschwindigkeiten von bis zu 90 Stundenkilometern.

Nicht nur im „Cyber Space“ gilt die größte Neuerung des diesjährigen Oktoberfests: die Wiesncard. Mit dem Plastikgeld lässt sich bei den meisten der rund 180 Schausteller und bei vielen der über 300 Marktstände bequem bargeldlos bezahlen. Für 30, 40 oder 50 Euro gibt es die Wertkarte bei den Infostellen der Stadt München am Marienplatz und Hauptbahnhof. Beispielsweise beim „Polyp“, einem fast schon traditionellen Fahrgeschäft von Edmund Radlinger, kann man seine Chips mit der Wiesncard bezahlen. Radlinger, auch Vorsitzender des Münchner Schausteller-Vereins, hat die Wiesncard mitentwickelt und freut sich jetzt auf die Einführung nach einem erfolgreichen Testlauf auf dem Frühlingsfest: „Wir können jetzt die Besucher besser an die Schausteller binden. Wenn es am letzten Sonntag regnet, aber einer noch 30 Euro auf seiner Karte hat, dann kommt er vielleicht doch noch her. Das ist dann genauso, wie mit Biermarken.“

Auch Helmuth Aigner ist schon lange auf der Wiesn mit Fahrgeschäften vertreten, etwa mit dem „Insider“. Er hofft, dass mit der Wiesncard wieder mehr Leben in die Schaustellerstraße kommt: „Unsere Kunden sind vor allem jünger. Die geben seit ein paar Jahren ihr Geld vor allem fürs Handy aus. Das Geld geht uns ab. Weil man mit der Karte keine Zigaretten und keinen Alkohol bekommt, glaub ich, dass die Karte gern verschenkt wird, vom Opa oder der Oma oder so.“ Süßigkeiten-Händler Norbert Lange sieht noch einen anderen Nutzen, nicht nur der vielleicht höhere Umsatz der Betriebe: „Vor allem die Kunden haben einen Vorteil: Sie bekommen zehn Prozent!“

Ob mit oder ohne Wiesncard: Dass auf der Wiesn viel gefeiert, getrunken, gegessen und gefahren wird, gilt als gesichert. Dass sich München für zwei Wochen im Ausnahmezustand befindet auch. Prost. Von Albrecht Ackerland

Artikel vom 16.09.2004
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