Albrecht Ackerland über Tegernseer Integration

"Da schau her"

Seit Jahren gehe ich immer zum selben Kiosk. Dort kaufe ich meine Zeitungen, Zeitschriften und Cigarillos. Meistens bedient mich dort eine Frau. Anders als etwa beim Metzger, wo ein eher fleischiges Du herrscht, siezen wir uns konsequent. Zum Glück, denn diese Distanz möchte ich mir unbedingt bewahren.

Vor kurzem bin ich an der Giesinger Stadtbücherei in der Tegernseer Landstraße vorbeigelaufen. Vorher war ich beim Weißhäupl Fritz und hab mir eine Bratensemmel machen lassen. Der Fritz hat eine kleine Metzgerei, hat immer was zum sagen, manchmal hat er auch seine hübsche Frau im Laden stehen, und einen gescheiten Schweinsbraten hat er auch immer.

Ich bin also Richtung Ostfriedhof, vorbei an der Tela-Post, wo’s grad ziemlich günstige Christbäume gibt. Da hab ich mir überlegt, ob ich mir einen mitnehme, aber dann ist mir eingefallen, dass ich ja schon einen hab. Außerdem hatte ich noch meine Bratensemmel in der Hand. Nach der Ampel hätt’s mir die aber beinahe aus der Hand gelassen, so gerissen hat’s mich. Gott sei Dank ist aber nur ein bisserl was vom Krusterl runtergefallen. Warum’s mich so gerissen hat? Ich bin, wie schon eingangs erwähnt, an der Stadtbücherei vorbei und hab in die Fenster geschaut.

Da stand doch im Büchereischaufenster glatt eine leere Halbe „Tegernseer Hell“.

Jetzt ist das ja erst mal nichts Besonderes, so ein leeres Flascherl Tegernseer. Das seh’ ich bei mir daheim öfter. Oft auch nicht nur eins. Aber was macht jetzt so eine Flasche im Schaufenster von der Bücherei in Giesing? Und warum ist die auch noch leer? Sparmaßnahmen? Dann sollen’s halt gleich keine Halbe ins Schaufenster stellen, wenn das wahrscheinlich stark eingeschrumpfte Budget nicht mal für eine volle Halbe reicht. Oder soll es ein Wink sein, dass da in der Bücherei nur Flaschen arbeiten und ausleihen? Das bestimmt nicht, denn ich leih’ da auch manchmal aus und das Personal dort ist gut.

Warum außerdem ein „Tegernseer“ und kein „Paulaner“, ist doch die Brauerei gleich ums Eck und der Tegernsee schon ein bisserl weiter? Ist die Halbe da im Schaufenster gar der Vorbote eines Aufstandes in Giesing? Fühlen sich die Einwanderer vom Tegernsee so schlecht integriert, dass sie zu solch sinnbildlichen Mitteln greifen müssen? Von wegen: Die Flasche ist leer, dafür ist das Fass bald voll?

Ich hab’ dann noch genauer hingeschaut, wo die Flasche da eigentlich steht. Gott sei Dank hatte ich meine Bratensemmel schon aufgegessen, weil sonst wäre sie mir wirklich aus der Hand gefallen. „Vita almanya’da“ und „Vita Türkiye’de” – so oder so ähnlich hießen die beiden Kinderbilderbücher, in denen die Geschichten vom kleinen Vita erzählt werden, der zwischen der Türkei und Deutschland hin und herreist.

Zwischen den Büchern stand das „Tegernseer“. Geht der ganze Leitkultur-Wahn jetzt schon so weit, dass zwischen Büchern für türkischstämmige Kinder Bierflaschen gestellt werden? Nach dem Motto: „So Buam, jetzt trink’ ma erst amoi a Tegernseer, und nachad integrier ma eich scho’!“ Oder soll der kleine Vita bei seiner nächsten Reise in die Türkei kästenweise Bier mitschleppen und damit dort für regen Import werben? Vielleicht hat ja der Stoiber auf dem Weg nach Wolfratshausen da in Giesing vorbeigeschaut, im Auto noch schnell die Flasche leergetrunken und dann höchstpersönlich reingestellt, da zwischen die Kinderbücher!

Vielleicht meint er ja damit, die Türkei muss nur genug Bier aus Bayern importieren, dann ist die CSU auch für einen Beitritt. Ich jedenfalls war so verstört von dem ganzen Giesinger Bücherei-Vorfall, dass ich daheim erst mal eine privilegierte Partnerschaft mit einem „Tegernseer“ eingegangen bin. Einem vollen, versteht sich.

Artikel vom 26.08.2004
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