In der Staatssammlung werden mehr als 100 Skelette aufbewahrt

Leichen im Keller

Olav Röhrer-Ertl präsentiert einen Frauenschädel aus der Barockzeit, der bei Bauarbeiten an der Frauenkirche 1953 entdeckt wurde.	Foto: maho

Olav Röhrer-Ertl präsentiert einen Frauenschädel aus der Barockzeit, der bei Bauarbeiten an der Frauenkirche 1953 entdeckt wurde. Foto: maho

Altstadt · Man könnte meinen, dass der Hobbykriminologe im Grünen-Stadtrat Siegfried Benker erwacht ist. Oder warum sonst beschäftigt der Sozialpolitiker das Kulturreferat plötzlich mit Leichenfunden in München?

Anlass für Benkers Interesse an der morbiden Thematik war eine Dienstreise zum Thema Museumskonzepte, die den Kulturausschuss unter anderem nach London geführt hatte. Der dort thematisierte Umgang des Stadtmuseums mit Leichenfunden bewog Benker zu einer Anfrage an das Kulturreferat, wie die Landeshauptstadt vorgehe, wenn bei Bauarbeiten oder Ausgrabungen menschliche Skelette gefunden werden.

Solche morbiden Funde sind allerdings nur am Rande eine kommunale Angelegenheit: Zunächst werde nämlich die Kriminalpolizei eingeschaltet, die bei Unklarheiten das Landesamt für Denkmalpflege für ein Gutachten zu Rate ziehe, erklärte Kulturreferentin Lydia Hartl ihrem Stadtratskollegen. Um die historischen Relikte kümmere sich zunächst das Landesamt, ehe sie dann an die Anthropologische Staatssammlung am Karolinenplatz weitergegeben werden.

Diese entscheidet dann, ob die Knochen für die Wissenschaft aufbewahrt werden. Zwischen 100 und 200 Skelettfunde hat es seit Kriegsende im Stadtgebiet gegeben, die meisten von ihnen im Münchner Zentrum, erklärt der Anthropologe Olav Röhrer-Ertl. Zahlreiche menschliche Reliquien seien allerdings in den Wirren des Weltkrieges verloren gegangen. Und auch in den fünfziger und sechziger Jahren sei nicht besonders stark auf den Denkmalschutz geachtet worden, erläutert der Wissenschaftler: »Die Besucher der Staatsoper zum Beispiel parken auf den Überresten des Komponisten Orlando di Lasso« – beim Bau der Tiefgarage wurde der dort befindliche Friedhof des Franziskanerklosters nicht gesichert.

Über die Stadtgeschichte Münchens liefern die Funde keine wirklichen Erkenntnisse: »Dafür sind die Einzelfunde zu unsystematisch«, konstatiert der bei der Staatssammlung beschäftigte Röhrer-Ertl. Allerdings werfe die Gesamtheit der Funde, die allesamt in einem Kellerraum der Staatssammlung aufbewahrt werden, wichtige Erkenntnisse für zahlreiche Wissenschaftszweige ab: Sie nützen der Biologie, der Geschichtswissenschaft, der Geologie und auch der Klima- und Krankheitsforschung. maho

Artikel vom 26.08.2004
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