Rechtsextreme Übergriffe nehmen zu

Münchens brauner Sumpf

„Staatsfeinde“ mit Bayernfahne.	Foto: Max Hägler

„Staatsfeinde“ mit Bayernfahne. Foto: Max Hägler

Margit ist Böses widerfahren und sie möchte, dass alle Welt davon erfährt: „Ich wurde von sieben Türken gleichzeitig vergewaltigt“, schreibt sie in einer E-Mail, die milliardenfach verschickt wurde und seit gut einem Monat in so gut wie allen deutschen Email-Postfächern herumgeistert.

Eine schlimme, verurteilenswerte Sache, wenn das wahr wäre. Nur, Margit gibt es nicht und ein solcher Fall ist keiner deutschen Polizeidienststelle bekannt. Bei dieser und ähnlichen Mails mit ausländerfeindlichen Inhalten handelt es sich um einen im Grunde harmlosen E-Mail-Wurm, der sich von jedem befallenen Rechner mit Internet-Anschluss selbst weitersendet. Wer der Autor des Wurmes ist, ist noch nicht bekannt. Doch die meisten Menschen, die von der braunen Hetz-Propaganda belästigt wurden, haben wohl das einzig Richtige getan gegen den lästigen Wurm: ungelesen in den virtuellen Papierkorb.

Leider beschränkt sich die rechtsextreme Szene keineswegs nur auf das Versenden von hetzerischen E-Mails. Die Neonazi-Szene ist nach wie vor sehr aktiv. Auch in München. Vor allem die so genannte „Kameradschaft Süd“, mit dem 27-Jährigen Martin Wiese als deren Anführer, ist besonders gefürchtet. Wiese wurde im September 2003 nach einer Razzia in Untersuchungshaft gebracht. Bei ihm wurden 1,7 Kilo Plastiksprengstoff gefunden. Wiese und seinen Kameraden wird vorgeworfen, einen Anschlag auf die Grundsteinlegung des Jüdischen Zentrums am 9. November 2003 geplant zu haben. Dem Anschlag hätten Dutzende Menschen zum Opfer fallen können – anwesend waren auch Ministerpräsident Edmund Stoiber, der damalige Bundespräsident Johannes Rau und OB Christian Ude.

Am Dienstag nun hat Generalbundesanwalt Kay Nehm Anklage gegen Wiese erhoben. Ihm und drei weiteren Mitgliedern der „Kameradschaft Süd“ werden unter anderem Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Planung eines Anschlages vorgeworfen.

Der berüchtigten Kameradschaft gehören nach Informationen des Bayerischen Verfassungsschutzes rund 50 gewaltbereite Personen an, die meisten von ihnen leben in München. Mitglieder dieser Gruppe waren es auch, die 2002 einen Griechen vor einem Lokal im Schlachthofviertel brutalst zusammengeschlagen haben.

Der bayerische Innenminister Günther Beckstein sprach damals sogar von einer „Braunen Armee Fraktion“ in München. Auch wenn dieser Vergleich übertrieben scheint, fragen sich spätestens seit der Festnahme Wieses auch viele Bürger besorgt, ob München eine Neonazi-Hochburg ist. Immerhin 19 Fälle rechtsextremistisch motivierter Gewalt verzeichnete das Polizeipräsidium München im vergangenen Jahr. Sieben mehr als im Vorjahr. Das sind zwar weit weniger Straftaten als etwa in den neuen Ländern. Doch eins steht fest: Jedes rechtsextreme Delikt ist eines zu viel.

Besonders besorgniserregend sei vor allem, „dass Neonazis und hasserfüllte, gewaltbereite Skinheads immer enger zusammenarbeiten“, erklärt Robert Bihler vom Bayerischen Verfassungsschutz. Diese beiden in der Vergangenheit nicht gut aufeinander zu sprechenden Gruppen träfen sich, so Bihler, vermehrt in den verschiedenen Kameradschaften und entwickelten ein „sehr hohes Gewaltpotential“.

In der Vergangenheit war es eher so, dass glatzköpfige „Skinheads“, welche nicht zwingend rechtsextrem sein müssen und sich eher durch eine „nur sehr vage Ideologie“ auszeichneten, die neonazistischen „Scheitelträger“ eher belächelten. Wenn sich die beiden Szenen noch weiter vermischen würden und sich das Gewaltpotential der Skinheads durch „die neonazistische Ideologie überhöht“, könne es, so Biehle, „durchaus zu größeren Problemen für uns kommen“.

Knackpunkt sind die rechten Kameradschaften: Da sie weder straff organisiert sind, noch parteiähnliche Strukturen aufweisen und auch nicht über viele Mitglieder verfügen, sei es für die Polizei sehr schwer, etwas gegen diese zu unternehmen. Besorgniserregend ist auch, dass sich laut dem aktuellen Sicherheitsreport der Münchner Polizei, die Zahl gewaltbereiter Skinheads in den vergangenen sechs Jahren dramatisch erhöht hat. Etwa 180 gewaltbereite, rechtsradikale Skinheads zählte die Polizei im vergangenen Jahr in München. Trotz der Verhaftung einiger Rädelsführer attestiert Bihler der Skinheadszene in München einen „gleichbleibend hohen Aktivitätsdrang“.

Immerhin scheint aber die Zerschlagung der mutmaßlichen Terrorzelle um Wiese bleibenden Schaden bei den Neo- nazis hinterlassen zu haben: „Durch die Aufhellung der Szene wurden mehr Zugangs- und Entwicklungsmöglichkeiten“ geschaffen, teilte die Münchner Polizei dem Chef der grünen Stadtratsfraktion, Siegfried Benker, mit, der diesbezüglich eine Anfrage an den Stadtrat gestellt hatte.

Artikel vom 08.07.2004
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