Albrecht Ackerland über den Mamas Punks

„Da schau her“

Meistens bin ich mit dem Radl unterwegs, vor allem in der Innenstadt. Vor kurzem jedoch nahm ich die U-Bahn, auch wenn ich nur zur Fraunhoferstraße musste. Als ich hochkam, stand im Zwischengeschoss ein junges Pärchen, die beiden waren bestimmt noch keine Zwanzig. Sauber sahen sie aus, wollten aber scheinbar abgewrackt wirken.

Er: Hautenge rote Karo-Stoffhose, die nicht ganz reichte bis zu seinen 8-Loch-Marken-Springerstiefeln.

Sie: Ein rot kariertes Röckchen, das schwer nach Gucci aussah, dazu eine Strumpfhose in Türkis. Bei dieser Farb-Kombination vermisste ich einen Warnhinweis, wie er auf Zigarettenpackungen zu finden ist: „Diese Verbindung von Farben kann Augenkrebs verursachen!“

Ich glaube, die beiden hielten sich für Punks und fühlten sich in der Tradition der Rebellion. Dass Punk schon vor ihrer Geburt gestorben war, und der Spruch „Haste mal...?“ mit der Euro-Einführung, das hatten sie scheinbar nicht mitbekommen. „Entschuldigen Sie vielmals, hätten Sie eventuell vielleicht fünfzig Cent übrig?“, fragten sie mich. Hatte ich nicht, dafür aber einen Euro.

Ich belehrte sie, dass es früher, vor ihrer Zeit, „Haste mal ´ne Mark?“ hieß, und fast alles, was früher eben eine Mark kostete, heute einen Euro kostet. Außerdem seien sie viel zu freundlich, kein echter Punk redete einen früher höflich mit „Haben Sie...?“ an, sondern mit „Haste...?“.

Ich ließ sie den Satz mehrmals nachsprechen. Plötzlich klingelte das Handy des Mädchens. Scheinbar war Mama dran: „Ja, wir kommen dann um sechs heim zum Essen!“ Das beeindruckte mich. Absichtlich fragte ich nicht nach, wofür sie denn eigentlich hier Geld schnorrten. Ich konnte es mir denken – eine Art neuer Extremsport, so wie Bungee-Jumping, Geld schnorren des Adrenalin-Kicks wegen. Oder ist das jetzt eine böse Anmaßung von mir? Vielleicht wollten sie einfach darauf hinweisen, dass es sogar in München Armut gibt, auch wenn sie gerade nicht persönlich davon betroffen waren. Schnorren als Symbol-Wirkung?

Punk sollte früher mal provozieren, vermutlich war das für die Gesellschaft damals bitter nötig. Obendrein waren Punks mal wirklich arm. Spätestens seit ich mich kürzlich in die Nobeldisco P1 verlief, und dort reihenweise Jungs mit Irokesenschnitt und akkurat zerrissener Hose von Dolce&Gabbana waren, weiß ich, wie weit es noch her ist mit dem Aufbegehren.

Im Zwischengeschoss wartete ich noch eine Weile, ob nicht doch noch ein Fashion-Punk kommt und den Mama-Punks Geld gibt. Das Bild hätte ich zu gern gesehen. Leider aber musste das Karo-Pärchen dann heim zum Essen, und die anderen saßen wohl grad alle beim Friseur, um einen neuen Irokesen für sechzig Euro zu bekommen. Es hieß einmal, Punk sei mit den „Sex Pistols“ vor 25 Jahren gestorben. So richtig verwest ist er aber erst jetzt.

Artikel vom 08.05.2004
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