Albrecht Ackerland über Arbeiterkampf

„Da schau her“

1. Mai! Welchem alten Arbeiter glüht da nicht die Seele? Was waren das früher noch für glorreiche Zeiten – Demonstrationen, Massen auf den Straßen, „Weniger arbeiten!“, „Mehr verdienen!“.

Nun gut, ein Kind der Arbeitertradition war ich nicht, aber sympathisiert wurde in meiner Familie trotzdem immer mit den „Einfachen“ auf der Straße. Was vor allem in Berlin-Kreuzberg alljährlich stattfand, musste zwar natürlich verabscheut werden, insgeheim war ich aber schon immer amüsiert über die festspielartige Prozedur zwischen Vermummten (wollten sowieso nicht arbeiten) und Polizisten (hatten offensichtlich Spaß bei der Arbeit). In München gab es so etwas natürlich nie. Und wo ist heute der Kampf geblieben?

Auf dem Marienplatz drängen sich zwar die jungen Massen, aber wofür sie ihr Bier in der Sonne trinken – wissen das die Jungen überhaupt? Ich werde heute hingehen und sie fragen, mit einem roten T-Shirt übergestreift, der Romantik wegen. Hoffentlich treffe ich dort auch gleich noch ein paar Ich-AGler. Mich würde schon interessieren, wie sie ihre Situation sehen: Ist das Ausbeutung was mit ihnen geschieht, wie schaut der Arbeitskampf für einen aus, der für sich selbst arbeitet? Sind sie eigentlich im Unternehmerbund und in der Gewerkschaft gleichzeitig organisiert? Ist die ausgerufene Ich-AG nur ein Mittel, um die Menschen schizophren zu machen, und damit neue Arbeit für Therapeuten zu schaffen? Freuen sich Ich-AGler überhaupt über den einst den Arbeitern geschenkten freien Tag oder ärgern sie sich, dass ihre Ausbeutung an sich selbst einen Tag lang ruhen muss?

Fragen über Fragen. Vielleicht aber sollte ich mir selbst erst einmal diese Fragen stellen! Bin ich eine Ich-AG? Und außerdem: Bin ich einfach nur von gestern und glaube immer noch, dass jemand, der für den Gewinn anderer arbeitet, einen speziellen Tag bekommen muss, um seine Rechte einzufordern? Ich weiß es nicht, ehrlich. Aber so ist das heutzutage mit der Arbeit.

Artikel vom 30.04.2004
Auf Facebook teilen / empfehlen Whatsapp

Weiterlesen





Wochenanzeiger München
 
Kleinanzeigen München
 
Zeitungen online lesen
z. B. Samstagsblatt, Münchener Nord-Rundschau, Schwabinger-Seiten, Südost-Kurier, Moosacher Anzeiger, TSV 1860, ...