2002 gab es 546 Verdachtsfälle in München - Dunkelziffer hoch

Kindesmissbrauch steigt

Kürzlich erschreckte ein besonders gravierender Fall von Kindesmissbrauch die ganze Republik: In Hamburg kam ein Mann zu einem Spielplatz, entführte zwei Kinder, verging sich an ihnen und brachte sie danach wie selbstverständlich zurück. Ein solch drastischer Fall wurde in München zwar bisher nicht bekannt, doch der Kindesmissbrauch ist leider auch in der bayerischen Landeshauptstadt ein Thema.

Erst kürzlich wurde ein Mann verurteilt, der sich das Vertrauen einer Mutter aus dem Hasenbergl erschlich, um sich dann mehrmals an ihrem geistig behinderten Sohn zu vergehen. Diese und ähnliche Taktiken sind üblich unter Kinderschändern. Vor allem in sozial schwachem Umfeld nutzen die Täter die missliche Lage ihrer Opfer aus und versuchen sich mit finanziellen Zuwendungen oder Geschenken in die Nähe von Kindern zu mogeln. Häufig sind die Eltern alleinerziehend und nehmen ein Betreuungsangebot gerne an.

So entsteht ein Abhängigkeitsverhältnis, das die Täter gezielt ausnützen, wie auch die Münchner Polizei bestätigt: „Oft wird unter einem Vorwand angeboten, das Kind zu betreuen. Erst wenn dieses Verhältnis halbwegs gefestigt ist, beginnen die Täter ihre wahren Absichten umzusetzen“, so die Polizei in einer Stellungnahme. Besonders gefährdet seien vor allem die so genannten „Schlüsselkinder“, also Kinder, die seitens der Eltern nicht die notwendige Zuwendung und Aufmerksamkeit erhalten und damit leichter „angreifbar“ seien. „In sozial schwachen Verhältnissen lebende Alleinerziehende sind nach hiesigen Erfahrungen häufig zunächst dankbar für die angebotene, regelmäßige kostenlose Kinderbetreuung.“ Zudem seien Kinder, die in ärmeren Verhältnissen leben, empfänglicher für Geschenke der Täter.

Bekannt werden die Fälle oft nicht, Experten schätzen die Dunkelziffer enorm hoch ein. Untersuchungen gehen davon aus, dass jedes vierte bis fünfte Mädchen und jeder zwölfte Junge schon einmal sexuelle Gewalt erleiden musste. In absoluten Zahlen heißt das: Im Jahr 2002 wurden in München 546 Verdachtsfälle sexueller Gewalt an Kindern bekannt, im Jahr 2000 waren es noch 397. Etwa jeder fünfte Verdachtsfall erhärtete sich oder wurde erwiesen, auch diese Quote steigt.

Die Polizei unterscheidet dabei zwischen Missbrauchshandlungen im öffentlichen Raum und im familiären, sozial nahen Umfeld: Während jedes zweite Vergehen im öffentlichen, fremden Raum in den vergangenen Jahren aufgeklärt werden konnte, kommen Vergehen im privaten Bereich oft gar nicht zur Anzeige, die Dunkelziffer beträgt nach Polizeischätzungen ein Zehnfaches der bekannt gewordenen Fälle.

Auch wenn die Täter mit ausgeklügelten Methoden versuchen, an ihre Opfer zu kommen, so sind doch viele bereits vorher schon in der Nähe: Als Verwandte, als der sprichwörtliche „gute Onkel“. Diese Taten seien schwer aufzudecken, da die Scham der Kinder wesentlich höher ist, und oft Druck von den Tätern ausgeübt wird, so die Polizei. Oft müssten sich die misshandelten und erniedrigten Kinder auch anhören, dass es halt doch „Spaß gemacht“ habe.

Experten streiten, wie Kinder wirkungsvoll geschützt werden können vor Vergewaltigungen und Missbrauch. Ein relativ erfolgreicher Ansatz wird seit Jahren in der offenen Jugendarbeit praktiziert: „Es ist an der Zeit, den eigenen Schutz vor Gewalt selbst in die Hand zu nehmen“, fordert Ralf Schmitz. Der ehemalige Polizist und heutige Mitarbeiter der Aktion „Sicher-Stark“ versucht, Kinder und Jugendliche mittels spezieller Trainingsmethoden Selbstvertrauen zu geben. „Die Kinder müssen lernen, „Nein!“ zu sagen“. Davon würden sich viele potentielle Täter schon abschrecken lassen. Auch in Münchens Grundschulen war Schmitz bereits mit seiner Theater-AG, bei der die Kinder lernen: „Mein Körper gehört mir!“ Von Florian Falterer

Beratungsstellen Frauennotruf: Beratungs- und Fachzentrum bei sexueller Gewalt: 089 / 76 37 37

Kinderschutzzentrum: 089 / 55 53 56

IMMA e.V. - Beratungsstelle für Mädchen und junge Frauen: 089 / 260 75 31

KIBS - Beratungsstelle für männliche Opfer sexuellen Missbrauchs: 089 / 23 17 16 91 20

Weitere Informationen: http://www.aktiv-gegen-sexuelle-gewalt.de

Artikel vom 01.05.2004
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