Schlechtere Ausstattung und weniger Personal – bleibt die Sicherheit auf der Strecke?

Rotstift bei der Polizei

250 Polizisten weniger, so lauten die Münchner Schätzungen angesichts der Sparvorgaben Stoibers. 	Foto: Max Hägler

250 Polizisten weniger, so lauten die Münchner Schätzungen angesichts der Sparvorgaben Stoibers. Foto: Max Hägler

München · München zählt zu den sichersten Großstädten Deutschlands. Noch, fügen Kritiker mittlerweile hinzu. Denn die bayerische Staatsregierung nimmt drastische Einsparungen bei der Polizei vor. Deswegen sehen Polizeigewerkschaft und Landtagsopposition die Sicherheit in München in Gefahr.

Das Kabinett von Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) verordnet den Beschäftigten im öffentlichen Dienst Mehrarbeit: Angestellte müssen ab 1. Mai, Beamte ab dem 1. September 42 Stunden in der Woche arbeiten. Bisher schieben Angestellte 38,5 Stunden Dienst, Beamte 40 Stunden. Betroffen ist natürlich auch die Münchner Polizei. Bis zu 250 der rund 5.500 Beamten-Planstellen könnten hier der 42-Stunden-Woche zum Opfer fallen, fürchtet Arno Schindler, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei in München.

Hinzu kommt, dass der Bayerische Landtag mit den Stimmen der CSU-Mehrheit auch die Sachmittel der Polizei erheblich gekürzt hat. Von 45 auf 23 Millionen Euro wurden die Investitionen im Polizeihaushalt reduziert. „In manchen der Münchner Polizeidirektionen fragt man sich, ob im Herbst die Fahrzeuge überhaupt noch bewegt werden können“, kommentiert Schindler die Sachmittel-Kürzungen.

Die Einsparungen führen zu noch nicht gekannten Koalitionen. In seltener Eintracht protestieren die Grünen im Bayerischen Landtag mit den Grünen in Uniform gegen die Maßnahmen. Und auch die Münchner SPD stellt sich an die Seite der Beamten. „Wahlbetrug“ nennt Franz Maget die Einführung der 42-Stunden-Woche. Der Chef der Münchner SPD sagt, Stoiber habe vor der Wahl „mündlich und schriftlich garantiert, dass die Arbeitszeit nicht verlängert wird.“ Als Folge fürchtet Maget, dass die bisher so gute Sicherheitslage in der Stadt nicht mehr zu halten sein werde.

Dass München derzeit zu den sichersten Großstädten der Republik zählt, bestätigte erst vergangene Woche der Sicherheitsreport des Münchner Polizeipräsidiums für das Jahr 2003. In der Kriminalitätsstatistik der 84 deutschen Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern liegt München auf Rang 60. Frankfurt ist negativer Spitzenreiter, Berlin kommt auf Platz drei, Hamburg auf den sechsten Platz. Hier gibt es also überall wesentlich mehr Verbrechen als in München. Noch sicherer als die bayerische Landeshauptstadt ist nur Stuttgart mit Rang 69. Die Statistik zeigt: München steht sehr gut da. „Die gute Sicherheitslage ist auch eine große Leistung der Münchner Polizei“, meint Maget dazu. Das sei „ein hohes Gut, das nicht gefährdet werden darf.“ Aber genau dies befürchtet der Münchner SPD-Vorsitzende.

Die verlängerte Arbeitszeit treffe die Beamten in München besonders hart. Ihnen sei der zusätzliche Druck nicht zuzumuten, da der Großstadtdienst ohnehin außergewöhnlich belastend sei. Arno Schindler von der Polizeigewerkschaft nennt ein weiteres Problem: München ist eine teure Stadt, die sich viele Polizeibeamte schon jetzt kaum leisten könnten. Zur Arbeitszeiterhöhung ohne Lohnausgleich kämen noch weitere Belastungen für die Polizisten hinzu. So werden Urlaubs- und Weihnachtsgeld massiv gekürzt. Beamte im unteren Besoldungsbereich erhalten zukünftig nur noch 100 statt 330 Euro Urlaubsgeld. In den höheren Lohngruppen wird es ganz gestrichen. „Darunter leidet die Motivation“, kritisiert Schindler. Maget assistiert: „Die Polizei wird geschwächt, verunsichert und gedemütigt.“

Schlechtere Ausstattung, weniger Personal und mehr Arbeitsbelastung – bei erhöhter Terrorgefahr, EU-Osterweiterung und Fußballweltmeisterschaft im Sommer 2006. Die Kritiker meinen, dass dies nicht zusammengehen kann. Ob sich die Sicherheitslage in München tatsächlich verschlechtern wird, mag man bei der Stadtverwaltung nicht bewerten. Christopher Habl vom Kreisverwaltungsreferat, ist jedoch ein wenig resigniert. Sein Amt könne die Situation sowieso nicht verändern. „Wir können die Polizei nicht ersetzen.“ Ein kommunaler Ordnungsdienst, der Polizeiaufgaben wahrnehme, sei gesetzlich nicht möglich. Außerdem habe der Stadtrat sich immer gegen eine Art Stadtpolizei ausgesprochen. „Dabei bleibt es auch.“

Im Polizeipräsidium selbst beobachtet man die Entwicklung mit deutlicher Sorge. Präsident Wilhelm Schmidbauer warnt vor einem Stellenabbau. In seinen Augen ist das „ein sehr, sehr mutiger Schritt“ angesichts der Tatsache, dass der „islamische Terrorismus auch in Europa angekommen ist“. Der stellvertretende Polizeisprecher Peter Reichl ergänzt: „Natürlich können wir versuchen, effektiver zu werden. Aber irgendwann ist die Schmerzgrenze erreicht.“ Reichl hält es für schwierig, die gute Sicherheitslage in München aufrechtzuerhalten und die Bürger vor Terroranschlägen zu schützen. „Der Stellenabbau macht unsere Arbeit nicht leichter.“

Unterdessen glaubt man im bayerischen Innenministerium nicht, dass München zukünftig unsicherer wird. „Entscheidend ist, dass auch die Polizei in Zeiten knapper Kassen ihren Spar-Beitrag erbringt, ohne dass die Sicherheit darunter leidet“, verteidigt Staatsekretär Georg Schmid (CSU) die Pläne von Ministerpräsident Stoiber. Er weist die Rechnung der Gewerkschaft der Polizei zur 42-Stunden-Woche zurück. „Die damit entstehenden zusätzlichen Arbeitsstunden einfach in Stellen umzurechnen, die dann wegfallen werden, ist eine vorschnelle Gleichung.“

Bayerische Befürworter der 42-Stunden-Woche verweisen auch gerne auf Hessen. Hier lässt Ministerpräsident Roland Koch (CDU) seine Beamten bereits seit Jahresbeginn zur 42-Stunden-Woche antreten. Im rot-grün regierten Nordrhein-Westfalen wurde die Arbeitszeit zu Jahresbeginn auf 41 Stunden erhöht.

Lohnenswert ist auch ein Großstadtvergleich: Im CDU-regierten Hamburg arbeiten Polizeibeamte schon seit längerem 40 Stunden – künftig 120 Minuten weniger als ihre Münchner Kollegen. Das eröffnet neue Perspektiven: Noch vor kurzem blickten die hanseatischen Ordnungshüter neidvoll auf die Isarmetropole, ab September könnte es umgekehrt sein. Von Jonas Paul

Artikel vom 24.04.2004
Auf Facebook teilen / empfehlen Whatsapp

Weiterlesen





Wochenanzeiger München
 
Kleinanzeigen München
 
Zeitungen online lesen
z. B. Samstagsblatt, Münchener Nord-Rundschau, Schwabinger-Seiten, Südost-Kurier, Moosacher Anzeiger, TSV 1860, ...