Planungsreferat will Wohnungslosenprojekt räumen

Gnadenacker vor dem Aus

Salmdorf - Peter Kranawetvogl ist Bürgermeister, aber im bayerischen Gemeindetag sitzt er trotzdem nicht. Wahrscheinlich wären seine Amtskollegen dort sowieso nicht bereit, ihn so zu nennen, wie er es wünscht: „Jesus“ nämlich, noch dazu englisch ausgesprochen. Kranawetvogl – im Folgenden also „Jesus“ – hat aber immerhin einen Amtssitz, sogar „Rathaus“ steht drauf geschrieben, und doch ist es kein normales, steinernes, vielleicht sogar herrschaftliches Gebäude. Jesus‘ Amtssitz ist ein Bauwagen. Jesus’ Wirkungskreis ist der „Gnadenacker“. Keine Gemeinde aus dem Bilderbuch. Dafür eine bunte.

Buntsein ist hier eine Art Gemeindestatut, am Eingang steht, geschützt von einem kleinen Dächlein, eine Tafel: „Bitte vergesst nicht eure Wagen zu bemalen! Jesus.“ Doch bald könnte die Karriere von Jesus als Bürgermeister vorbei sein. Das städtische Planungsreferat möchte Jesus und seine Gemeinde nämlich so schnell wie möglich weg haben von ihrem Feld. „Wir bleiben, von einer Räumung weiß ich nichts, und ich glaub auch nicht dran“, sagt allerdings Jesus. Schließlich sei der „Gnadenacker“ in Deutschland einzigartig. Obdachlose Menschen leben hier selbstverwaltet in Bauwägen, schaffen also aus eigenem Antrieb den Schritt in eine Gemeinschaft. Die Bauwägen stehen auf einem Feld dicht an der südöstlichsten Stadtgrenze zu Salmdorf, einem kleinen Ort bei Haar. Vor allem aber stehen die Bauwägen in direkter Nachbarschaft zum Gelände der künftigen Bundesgartenschau (Buga), die 2005 stattfindet.

Genau diese Tatsache bereitet den öffentlichen Stellen scheinbar Sorgen, auch wenn schon früher immer wieder versucht wurde, die nicht ganz dem Gesetz entsprechende Flächennutzung zu unterbinden. Der Sprecher des Planungsreferats, Günter Suska, offenbarte zu diesem Thema kürzlich in einem Interview seine Vorstellung von Menschlichkeit: „Das kann nicht sein, dass Asoziale neben einer Ausstellung mit weltweiter Resonanz kampieren“. Für Stadtrat Siegfried Benker (Grüne) war das ein Unding, und so stellte er prompt eine Stadtratsanfrage, ob diese unglaubliche Aussage wirklich gefallen sei. Die kleinlaute Antwort von Stadtbaurätin Christiane Thalgott: „Es kann leider nicht mit der wünschenswerten Sicherheit ausgeschlossen werden, dass der Begriff ,Asoziale‘ fiel“.

Dabei ist es etwas sehr Soziales, was auf dem Gnadenacker passiert. Hier helfen sich Wohnungslose selbst, wieder eine Art Obdach zu bekommen.

„Zurzeit leben hier zwischen 20 und 25 Menschen, sogar Kinder sind darunter.“ Freilich nur in den Ferien, zur Schulzeit leben sie mit dem jeweils anderen Elternteil in normalen Wohnungen. Auf dem Acker herrscht weder Elend noch Anarchie, auch wenn das Leben auf das Einfachste reduziert ist. Fließend Wasser gibt es nicht, mühevoll muss es in Tanks aus dem nahen Salmdorf herangekarrt werden. Was aber nicht bedeutet, dass die Menschen vom Gnadenacker selten Wasser an sich heranlassen, erklärt Jesus: „Es gibt hier eine eigene Satzung mit Hygienevorschriften. Wer nicht bereit ist, sich mindestens zwei Mal die Woche zu waschen und seine Kleidung sauber zu halten, muss im Zelt übernachten oder wird ganz weggeschickt. Wir versuchen zwar immer erst mal alles mit Gesprächen zu lösen, aber manche Menschen sind einfach nicht fähig, sich zu waschen. Das kann auch zum Problem für den Acker werden, weil sich Ungeziefer und Krankheiten ausbreiten könnten.“

Dennoch: Die Bauwagenkolonie muss weg vom Gnadenacker. Das Planungsreferat ist unerbittlich. Die Aussteiger halten sich mit ihren Bauwägen auf öffentlichem Grund auf, der sich im „Geltungsbereich des einfachen Bebauungsplans Nr. 1728 i“ befindet. „Dieser setzt öffentliche Grünfläche fest, die landschaftsgerecht zu gestalten ist“, heißt es im besten Beamtenjargon in einer Stellungnahme von Stadtbaurätin Christiane Thalgott. Auf gut Deutsch heißt das: Die Bauwagenkolonie ist illegal und muss so schnell wie möglich das Gelände räumen. Außerdem sei doch ein normales, zivilisiertes Leben gar nicht möglich auf dem Gnadenacker, argumentiert die Referentin: Es existiere weder ein Trinkwasseranschluss, noch ein Kanal, noch eine Anfahrtsmöglichkeit vom Münchner Stadtgebiet aus.

Trotz dieser Widrigkeiten hausen die Kommunarden schon seit 1996 auf dem Gnadenacker. Eigentlich pachtete der ehemalige Journalist und Schriftsteller Ulli Hoppe das Feld, um dort eine Schrebergartensiedlung für stadtgeplagte Naturfreunde zu errichten. Die Stadt gab grünes Licht. Hoppe stellte Bauwägen auf und hatte bald mietezahlende Mitglieder für das Projekt. Doch dann entschied sich die Stadtverwaltung anders und untersagte die Flächennutzung. Die Mieter wollten keinen Ärger und zogen von dannen, ohne aufzuräumen oder ihre eigenen Wägen mitzunehmen. „Das waren Spießer“, so Hoppe heute.

Seitdem nütze er das Feld, um von der Abholzung bedrohten Pflanzen ein Überleben zu bieten, ihnen Gnade zu schenken. Der Gnadenacker war geboren. 1998 dann bekam Jesus Wind von der Sache. Schon zwei Jahre zuvor hatte der ehemalige Koch des Berchtesgadener „Vier Jahreszeiten“-Hotels in Freilassing den Verein „Ameise e.V.“ gegründet, eigentlich für gestrandete Jugendliche, die ihre Zeit nicht auf der Straße, sondern wenigstens im Wald verbringen sollten. Dann zog es Jesus nach München. Auf Hoppes Acker sah Jesus die Chance für seinen Traum und schlug dem Besitzer eine Ackerbesetzung vor. Der war begeistert und so zogen alsbald die ersten Obdachlosen auf den „Gnadenacker“. Heute, sechs Jahre später, haben sich die Bewohner der umliegenden Dörfer mit den Leuten vom Gnadenacker arrangiert. „Die haben nichts gegen uns.“ Manche der nun nicht mehr ganz Obdachlosen arbeiten auch an der Entstehung der Buga mit.

Sein Traum sei es, so Jesus, dass die Bundesgartenschau das kleine Wagendorf einbindet. „Schau her“, sagt er und zieht einen Prospekt mit antiken, schön restaurierten Zirkuswägen hervor, „so sieht das doch toll aus. So stelle ich mir das vor, dass wir alle unsere Wägen so schön und sauber bemalen. Was sollen da die Buga-Besucher gegen uns haben?“ Eine eigene Attraktion könne der Gnadenacker werden – Menschen leben in und mit der Natur, glaubt Jesus. Die Buga selbst allerdings hat da erhebliche Zweifel: „Das geht leider nicht. Wenn die Stadt sagt, dass sie da weg müssen, müssen sie weg“, so eine Sprecherin.

Im Sozialreferat ist man vom selbstlosen Engagement von Jesus und den Seinen zwar durchaus angetan. „Empowerment“ nennt sich diese Hilfe zur Selbsthilfe im Jargon der Sozialpädagogen. Trotzdem: „Gegen eine Räumung können wir nichts machen, das ist allein Sache des Planungsreferats, so Sozialreferatssprecherin Monika Niedermayer. Und die blocken in der Antwort der Stadtbaurätin vehement ab: „Auf dem derzeitigen Gelände können die bestimmt nicht bleiben!“ Von Albrecht Ackerland

Artikel vom 19.04.2004
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